Memmingen/Lindau – Stefan Bolz und Sebastian Rudolph haben die mutmaßlich härtesten Jobs bei der Bahn im Allgäu. Die Oberleitungsmonteure sind unverzichtbare Spezialisten bei der Elektrifizierung. Für ihre Firma Europten spannen sie im Auftrag der Bahn quer durch die Republik Fahrdraht, damit die Bahn von Diesel auf Strom umstellen kann. Sie waren zuletzt im Schwarzwald. Jetzt steht ihr Zwei-Wege-Lkw kurz vor Lindau auf den_Schienen. Auf den 155 Kilometern zwischen Geltendorf im Osten und Lindau im Westen sind Restarbeiten zu tun, „Regulasche“, wie Bolz mit unverkennbarem ostdeutschem Zungenschlag sagt. Das bedeutet: Der Fahrdraht muss reguliert, in die richtige Höhe gebracht werden. Ein Spielraum von 5,29 Meter (unter Brücken) und 5,50 Meter ist möglich. Außerdem verläuft der Fahrdraht im Zickzack – damit sich später die Oberleitungsbügel der Züge nicht nur an einer Stelle abschleifen. Auch das müssen die Monteure einstellen.
Bolz schiebt mit dem Arbeitsschuh Kupferdrähte und Zangen auf die Seite, damit überhaupt Platz ist im Hubwagen. Dann hebt sich der Aufleger nach oben, bis dicht unter die Oberleitung. Die Reporter sind mit dabei. Natürlich ist der Strom hier noch abgeschaltet, damit man überhaupt rumschrauben kann am Kupfer. Es muss ein harter Job sein. Bolz grinst. „Na, was meinen Sie? Zehn Stunden in der Sonne täglich.“ Immerhin liegt auch Sonnencreme im Aufleger – und viele Wasserflaschen.
Zurück am Boden gibt es eine kleine Pressekonferenz. Verkehrsstaatssekretär Klaus Holetschek (CSU) und der bayerische DB-Bevollmächtigte Klaus-Dieter Josel steigen aus den Limousinen. Wieder ist eine wichtige Etappe geschafft: Der letzte der 3650 Oberleitungsmasten ist gesetzt, vorvergangene Woche in Lindau. Man sei im Zeitplan, versichert Projektleiter Matthias Neumaier. „Das ist schon wirklich toll“, sagt Josel. Spatenstich war im März 2018, der Betriebsstart soll pünktlich zum Fahrplanwechsel Mitte Dezember 2020 erfolgen: Dann können sechs statt heute drei bis vier Eurocitys täglich zwischen München und Zürich fahren, auf einer Strecke, die Spötter mit Blickrichtung Schweiz gerne als Schwarzgeldexpress titulieren.
Die Schweizer Eurocity-Züge des Typs „Astoro“ werden zwar die angepeilten 3.30 Stunden anfangs nicht schaffen, weil es Softwareprobleme an der Grenze Deutschland/Österreich gibt. Doch auch so verkürzt sich die Strecke München-Zürich um 30 Minuten auf vier Stunden. Zwischen München und Memmingen dauert es künftig eine Stunde: zehn Minuten weniger. Die Fahrzeit wird kürzer, weil die Züge elektrisch fahren – statt wie heute von zwei Dieselloks gezogen zu werden. E-Antrieb ist spurtstärker, wie Josel erläutert. Es wird dann noch ein Jahr – bis Ende 2021 – dauern, ehe auch die Diesel-Regionalzüge im Allgäu durch emissionsarme Elektrotriebzüge abgelöst werden. Für die Bahn ist es allerdings schmerzhaft, dass nicht sie am Start sein wird – sondern der britische Konzern Go-Ahead, der die Strecken in einer Ausschreibung gewonnen hat und mit einem Jahr Verspätung startet.
Staatssekretär Holetschek, ein Allgäuer, geht in seiner Rede darauf nicht ein. Aber er meldet für die Region weiteren Bedarf an. Dieselzüge hätten „in einer Tourismusregion“ nichts verloren, findet er. „Die Elektrifizierung muss weitergehen“, sagt der Politiker, und nennt auf Nachfrage die Strecken um Kempten. Da spricht er einen wunden Punkt an: Kempten im Süden fühlt sich von der Bahn etwas abgehängt, schließlich hat die Bahn sich für ihr Elektrifizierungsprojekt den kürzeren Weg über Memmingen ausgesucht. Das spart eine Viertelstunde. Bahnchef Josel hält den Streit freilich für ausgestanden. Das sei „eine historische Trassendiskussion“.
Neben der Zeitersparnis war vermutlich auch das Geld entscheidend für die Wahl der Strecke. Über 500 Millionen Euro kostet der Ausbau, 50 Millionen kommen von der Schweiz. 100 Millionen allein kosten die Lärmschutzwände, 23 Millionen der neue Fernbahnhof Lindau-Reutin – am alten Inselbahnhof werden nur noch Regionalzüge halten. Die Bahn hat auch Signale erneuert und neue Brücken gebaut. Bahnübergänge bleiben aber. 48 Stück gibt es an der Strecke – sie sind geduldet, weil die Züge nicht schneller als 160 km/h fahren. Wären 200 km/h erlaubt, müssten sie weg.
Auch bleibt die Strecke zwischen Buchloe und Hergatz vor Lindau eingleisig. Ein zweites Gleis zu bauen, hätte die Kosten in Milliardenhöhe getrieben. „Klar wünscht man sich immer mehr“, sagt Bahnchef Josel dazu. „Aber für unser Betriebsprogramm passt es jetzt so, wie es ist.“