Es war das Jahr 1990, als eine Madonna Wolfratshausen spaltete. Damals hat die Bronzeskulptur des Penzberger Bildhauers Anton Ferstl einen Skandal ausgelöst. Ferstl bekam den Auftrag, eine Madonna zu entwerfen, die anlässlich der über vier Millionen Mark teuren Sanierung der Isarbrücke zwischen Wolfratshausen und Egling aufgestellt werden sollte.
Also entwarf er eine Marienfigur mit Kind, wie sie in der heutigen Zeit aussehen würde: ein junges Mädchen im Minikleid, lässig dasitzend, ihr Kind auf dem Schoß. Doch das kam nicht bei allen gut an. Als „Strandmieze“, und „Dirne“ wurde die Darstellung beschimpft, das Jesuskind gar als „Missgeburt in Pampers“.
Trotzdem wurde die Figur im Dezember 1990 in der Mitte der Brücke platziert und in Anwesenheit des bayerischen Innenministers und Wolfratshauser Bürgers Edmund Stoiber geweiht. Doch die Gegner bezogen schnell Stellung, allen voran Bürger, die dem erzkonservativen Freundeskreis „Maria Goretti“ nah standen. Maria Goretti ist eine italienische Heilige, die 1902 mit elf Jahren starb, als sie sich gegen eine Vergewaltigung wehrte. Der „Freundeskreis“ kämpfte 1976 bereits für die Abschaffung des Sexualkundeunterrichts vor dem Kultusministerium in München – per hundertfachem Rosenkranzgebet.
In Wolfratshausen wurde eine große Unterschriftensammlung organisiert, ebenso ein Sühnegottesdienst. Hunderte von Gläubigen nahmen daran teil, obwohl nicht einmal das Erzbischöfliche Ordinariat einen Anlass sah, gegen die Madonnen-Darstellung vorzugehen. Gleichzeitig demonstrierten auf der anderen Uferseite die Befürworter – eine Handvoll meist jüngerer Bürger.
Der Streit eskalierte am 25. Juni 1991. Unbekannte demontierten die Figur und warfen sie in den Fluss. Bildhauer Ferstl war monatelang damit beschäftigt, sein Werk zu reparieren. Nur, wohin jetzt mit der Brückenmadonna? Stoiber schaltete sich ein: Man dürfe der Gewalt nicht nachgeben, empfahl er, aber die Madonna sollte die Autofahrer auch nicht ablenken. Also wurde aus der BrückenMadonna eine Madonna ohne Brücke. Sie wurde, kaum sichtbar für die Passanten, an einen neuen Standort etwa 20 Meter vor der Brücke unter die Bäume verbannt.
„An diese Geschichte musste ich jedes Mal denken, wenn ich vorbeifahre“, sagt Rolf Merten aus Eurasburg. „Das hat mich nie losgelassen.“ Er nahm mit der Familie des 2011 verstorbenen Künstlers Kontakt auf und erhielt die Erlaubnis, die Figur nachbauen zu dürfen. Mit Hilfe eines 3D-Druckers entstand so kürzlich ein erstes Modell. Eine Bronzegießerei fertigte eine Form und schon bald konnte Merten eine etwa 23 Zentimeter große Madonna sein Eigen nennen.
Doch nicht nur Merten wollte eine Madonna in klein. Kaum wurde über die Figur berichtet, lief sein E-Mail-Postfach voll. „Es kamen Anfragen aus Schleswig-Holstein, aus Potsdam und sogar Mosambik.“ Und vor allem hatten viele Schreiber den Wunsch, die Madonna möge dorthin zurückkehren, woher sie kommt: auf die Mitte der Brücke. Merten sagt: „Vielleicht ist jetzt die Zeit dafür reif und die Toleranz gewachsen.“
Das Staatliche Bauamt Weilheim ist sogar bereit, die Kosten für die Verlegung zu übernehmen – obwohl man sich bewusst ist, dass es zu neuen Protesten kommen kann. „Aber wir glauben“, sagt Bauamts-Abteilungsleiter Martin Herda, „dass es sich in Grenzen halten wird.“ Nächster Schritt ist nun, dass eine Fachfirma die Figur umsetzt. Der genaue Termin dafür steht noch nicht fest. SABINE HERMSDORF-HISS