„Wo ist die Urne mit meinem Papa?“

von Redaktion

VON SEBASTIAN GRAUVOGL

Miesbach – Mit eigenen Händen wollte Robert Ellmann seinen Vater zum Familiengrab tragen. „Ich war bei ihm, als er gestorben ist, also wollte ich ihn auch auf dem Weg zu seiner letzten Ruhestätte begleiten“, erzählt der 51-Jährige mit brüchiger Stimme. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Als die gut 25-köpfige Trauergemeinde nach dem Gottesdienst in der Miesbacher Stadtpfarrkirche wieder zur Aussegnungshalle auf dem Waldfriedhof zurückkehrte, war die Urne mit der Asche von Wilhelm Ellmann (86) verschwunden. Die Blumen, das Foto, alles war noch da. „Aber der Papa war weg“, sagt Ellmann. Für das, was er und seine Familie in diesem Moment gefühlt hat, findet der Sohn nur ein Wort: absolute Fassungslosigkeit. „Jetzt können wir uns nicht mehr verabschieden.“

Als Ellmann und seine Lebensgefährtin am vergangenen Donnerstag gegen 13.30 Uhr zum Miesbacher Friedhof kommen, sind sie traurig, aber gefasst. Sie betreten die Aussegnungshalle, schauen noch mal nach den Rechten. Sie legen ein Blumengesteck vor der Urne nieder, bereiten sich in Stille auf den Abschied vor. Auch Robert Ellmanns Schwester Annette Egger ist da. Sie streichelt sanft über die Urne, ein letzter zärtlicher Gruß an ihren geliebten Papa. Dann macht sich die Familie auf den Weg zur Kirche. Kurz danach erhält der Verstorbene nochmals Besuch. Ein guter Freund habe gemeint, die Trauerfeier finde auf dem Friedhof statt, erzählt Ellmann. „Er hat Papas Urne noch gesehen.“

Was in den wenigen Minuten danach passiert ist, darüber zerbricht sich die Familie seit Donnerstag den Kopf. „Wir können an nichts anderes mehr denken“, sagt Robert Ellmann. Fest steht nur, dass die Urne kurz vor der Beisetzung von einem unbekannten Täter entwendet wurde. Zuerst glauben die Familienmitglieder an einen makabren Scherz. Sie suchen den Friedhof nach einem möglichen Versteck ab. Doch der Vater bleibt unauffindbar. Die katholische Gemeindereferentin Michaela Meier, die den Gottesdienst zelebriert hat und die Beerdigung leiten sollte, versucht, den Angehörigen in dieser emotionalen Ausnahmesituation beizustehen. „Auch mich trifft dieser Vorfall ins Herz“, sagt Meier. Als sich die erste Aufregung gelegt hat, verständigen die Angehörigen die Polizei, die wegen Störung der Totenruhe ermittelt.

In seiner Verzweiflung startet Robert Ellmann bei Facebook selbst einen Aufruf. In einem vierminütigen Video bittet er seine Freunde und Bekannten darum, den Beitrag möglichst oft zu teilen, um Hinweise auf seinen Vater zu bekommen. „Er soll seine verdiente Ruhe finden können“, sagt der 51-Jährige sichtlich bewegt.

Auch Miesbachs Pfarrer Michael Mannhardt ist sprachlos ob des Vorfalls auf dem Friedhof. „Es ist schockierend, dass jetzt sogar die Grenze des Respekts vor dem Tod überschritten wird“, sagt Mannhardt. Für alle Beteiligten sei dies eine „furchtbare Situation“. Die Pfarrgemeinde beteiligt sich deshalb an der Suche. Zettel in der Kirche bieten dem Dieb die Möglichkeit zur anonymen Rückgabe der Urne an.

Robert Ellmann könnte damit leben. Ihm gehe es nicht um die Bestrafung des Täters. Er wolle nur seinen Vater wieder haben – und wissen, warum jemand seiner Familie so etwas Schlimmes angetan hat. „Eine Begründung hätte ich schon gern, von mir aus auch als anonymer Brief.“

Aktuell kann Ellmann nur darüber spekulieren. Einen persönlichen Hintergrund schließt er aus. Er könne sich nicht vorstellen, dass jemand seinem Vater oder seiner Familie schaden wolle. Für wahrscheinlicher hält der 51-Jährige, dass es der Dieb auf den Materialwert der Urne oder auf die Asche abgesehen hat. „Ich habe gehört, dass man daraus in anderen Ländern einen Diamant machen kann“, erzählt Ellmann. Oder vielleicht habe der Täter einfach einen Wertgegenstand im Inneren vermutet.

Dem 51-Jährigen geht es hingegen um die Asche. „Ich will wissen, was aus meinem Papa geworden ist.“ Selbst wenn der Dieb die Überreste bereits verstreut hat, möchte Ellmann den genauen Ort kennen. „Egal, wo der Papa jetzt ist: Ich möchte endlich Servus sagen.“

Hinweise

sind bislang noch nicht eingegangen. Zeugen werden gebeten, sich unter z 0 80 25 / 29 90 an die Polizei Miesbach zu wenden.

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