Der Knall, der alles veränderte

von Redaktion

ALTE SCHRIFTSTÜCKE UND IHRE GESCHICHTE Kraillinger hat als Bub seinen Arm verloren

Krailling – Josef Meissner (Name geändert) besitzt zwei vergilbte Schriftstücke, die zu dem schmerzhaftesten Tag seines Lebens gehören. Am 12. November 1945 hat er seinen linken Arm verloren. Damals war er ein kleiner Junge und fand beim Spielen ein kleines Metallstück. Meissner ahnte nicht, dass es sich dabei um einen Handgranatenzünder handelte. Er wollte es als Verlängerung für seinen Bleistift-Stummel nutzen. Mit einem Nagel kratzte er am Küchentisch die Erdreste aus dem Metall. „Auf einmal hat’s geknallt“, erzählt er.

Es dauerte eine Weile, bis Meissner verstanden hatte, was gerade passiert war. Auch seine Mutter, die gerade am Herd gestanden hatte, war von dem Knall völlig überrascht worden. „Ich stand erst mal unter Schock“, erinnert er sich. Sein linker Arm war nur noch eine blutige Masse, auch im Bauchbereich spürte er einen stechenden Schmerz. Später erfuhr er, dass in dem Zünder noch TNT-Reste gesteckt hatten. Durch die Reibung mit dem Nagel war der Sprengstoff entzündet worden.

„Ich bin schreiend ins Freie gerannt“ – daran erinnert er sich noch. Ein Nachbar, der als Soldat im Krieg gekämpft hatte, kam sofort hergelaufen und band den Arm ab. Dann sind Meissners Erinnerungen verschwommen. „Es hat lange gedauert, bis ein Arzt da war“, berichtet er. Der brachte ihn mit seinem Auto ins Pasinger Krankenhaus. Dort wurde er sofort operiert. Der Arm war nicht mehr zu retten.

Josef Meissner musste lange mit Schmerzen leben. Eine Prothese hat er erst einige Jahre später bekommen, als er eine Lehre begann. Er wurde technischer Zeichner. „Zum Glück war ich Rechtshänder“, sagt er.

Er ist in seinem Leben auch mit einem Arm immer gut zurechtgekommen, sagt er heute. „Es ging immer weiter, man muss einfach nach vorne blicken.“

Doch als seine Mutter starb, hat ihn die Erinnerung an jenen 12. November 1945 noch mal eingeholt. Denn sie hatte die Arzt- und Krankenhausrechnungen von damals ihr Leben lang aufbewahrt. Josef Meissner entdeckte sie zufällig zwischen anderen Unterlagen. Und ein bisschen musste er doch schmunzeln, als er die Auflistung fand. Zwölf Verpflegungstage zu 3,60 Reichsmark hat das Pasinger Krankenhaus damals abgerechnet. Dazu kamen Arzneimittel (4,40 Reichsmark), Verbandsmittel (4,80 Reichsmark) und die Kosten fürs Röntgen (8,05 Reichsmark). Teuerster Posten war die Operationssaalbenutzung mit 12 Reichsmark. Alles in allem mussten Meissners Eltern 72,45 Reichsmark zahlen – und weitere 53 an den Hausarzt. „Das ist für heutige Verhältnisse ein lächerlicher Betrag“, sagt der Kraillinger. „Damals war die Reichsmark ja nichts mehr wert – aber die Leute hatten auch nichts mehr nach dem Krieg.“

Auch Meissner bewahrt die alten Rechnungen nun auf. Sie sind für ihn auch ein zeitgeschichtliches Dokument. Und natürlich eine Erinnerung an den Tag, der sein Leben völlig verändert hat. kwo

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