Von der „Sittenwacht“ zur Profi-Rettung

von Redaktion

AUSSTELLUNG 100 Jahre Bergwacht Bayern – Fast 9000 Einsätze im vergangenen Jahr

VON CORINNA KATTENBECK

München – Der Sittenlosigkeit von Bergtouristen wollen engagierte Männer nach dem Ersten Weltkrieg einen Riegel vorschieben: Im Juni 1920 gründen sie im Münchner Hofbräuhaus die Bergwacht – als eine Art „Natur- und Sittenwacht“.

Im Mittelpunkt steht zu Beginn der Schutz der heimischen Berglandschaft und der Bergsteigerkultur. „Nach dem Ersten Weltkrieg waren die Leute sehr arm“, erklärt ein Bergwachts-Mitglied. „Manche haben auf dem Berg Brennholz geholt oder seltene Blumen gepflückt, um sie zu verkaufen.“ Doch Enzian- oder Alpenrosen-Diebe handeln sich damals gehörigen Ärger ein, wenn sie in die Kontrollen der Bergwachtler geraten. „In Oberstdorf bekamen sie es sogar mit der Polizei zu tun“, weiß Anna Biller. Sie ist Kuratorin der Jubiläums-Ausstellung, die Schlaglichter der 100-jährigen Geschichte der Bergrettungsorganisation zeigt. Am Wochenende wurde sie eröffnet.

Als sich die Bergretter seinerzeit professionell organisieren, sind sie noch Teil des Deutschen Alpenvereins. Das ändert die amerikanische Besatzungsmacht nach dem Zweiten Weltkrieg: Auf Befehl wird die Bergwacht im Bayerischen Roten Kreuz integriert. Dort ist sie heute noch als Sondereinheit fest verankert.

In der Ausstellung zeugen Exponate, Dokumente, Bilder, Aufzeichnungen und Videos von der wechselvollen Geschichte, in der Frauen erst seit Kurzem eine Rolle spielen. „Die Bergwacht war lange Zeit eine Männer-Domäne“, sagt Anna Biller. Das ändert ein Gerichtsurteil 1992. „Eine Frau hatte sich eingeklagt.“ Ihr war es verwehrt worden, sich zur Bergretterin ausbilden zu lassen. Damals habe es lebhafte Diskussionen gegeben, weiß Anna Biller. „Ähnlich wie beim Thema ,Frauen zur Bundeswehr’.“ Wenn auch das Engagement auf dem Berg mit körperlicher Schwerstarbeit verbunden ist, so sind weibliche Einsatzkräfte heute ein fester Bestandteil der Bergrettung in Bayern. Anna Biller: „Inzwischen liegt der Frauen-Anteil bei 14 Prozent.“

Bergsport ist extrem populär. Weil es geübte Alpinisten wie Freizeitsportler zu Tausenden in die Berge zieht, passiert auch mehr. Allein 2019 waren es fast 9000 Einsätze, wieder ein neuer Rekord. Mal müssen die insgesamt 3500 Einsatzkräfte abgerutschte Kletterer befreien, mal verschüttete Lawinenopfer bergen oder etwa Hilfe bei Hochwasser leisten.

Die bisher aufwändigste Höhlenrettungsaktion liegt sechs Jahre zurück: An Pfingsten 2014 wird ein erfahrener Höhlenforscher in der Riesending-Schachthöhle am Berchtesgadener Untersberg in knapp 1000 Meter Tiefe von einem Stein getroffen und erleidet ein Schädel-Hirntrauma. Nach elf Tagen gelingt es den 200 Einsatzkräften, unter ihnen Bergretter aus Bayern, den Verunglückten lebend ins Freie zu bringen. Die erste Lebendrettung aus der Eiger Nordwand gelang 1957 – mit dem Münchner Bergrettungspionier Ludwig „Wiggerl“ Gramminger an der Spitze.

Beeindruckt von der kontinuierlichen Leistung der Einsatzkräfte zeigte sich auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) beim Festakt auf der Praterinsel: „Ein Jahrhundert ehrenamtlicher Dienst am Mitmenschen in oftmals lebensgefährlichen Situationen kann gar nicht genug gewürdigt werden“, betonte der Politiker. Besonders geehrt wurde der frühere Landtagspräsident und Ehrenvorsitzende der Bergwacht Bayern, Alois Glück: Er wurde mit dem „Grünen Kreuz“ des Deutschen Alpenvereins für besondere Verdienste um die Bergrettung ausgezeichnet.

Die Ausstellung

„100 Jahre Bergwacht Bayern“ ist bis 27. September im Alpinen Museum des DAV auf der Münchner Praterinsel zu sehen. Geöffnet ist am Samstag und Sonntag von 11 bis 18 Uhr, Dienstag bis Freitag von 13 bis 18 Uhr. Im Ausstellungsraum dürfen sich jeweils maximal zehn Besucher aufhalten.

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