Ingeborg Scholz, 91, sitzt auf ihrem Sofa in der Seniorenresidenz Augustinum im Münchner Norden und muss sich ein bisschen aufregen. Das passiert immer, wenn sie diesen Zeitungsschnipsel aus dem Jahr 1952 in die Hand nimmt. „Eine Tölzerin spielt eine Tölzerin“, steht dort als Überschrift. Darunter sieht man ein Foto der blutjungen Ingeborg im Dirndl – und folgenden Text: „Ihre Vorfahren stammen aus dem oberbayerischen Ort. In dem Film ,Die schöne Tölzerin‘ spielt sie die Titelrolle. Ihre Kostüme sind Originalkostüme aus den Truhen der einheimischen Familie Höck.“ Ingeborg Scholz schüttelt den Kopf.
Sie war damals ein angehender Star, der Münchner Filmpionier Peter Ostermayr hat sie gefördert. Sie hat sogar einen Künstlernamen: Ingeborg Cornelius. Der Nachname fiel ihr in dem Moment ein, als ein Chauffeur sie zu den Bavaria Filmstudios fuhr und sie die Corneliusbrücke überquerten. „Es waren nur Hauptrollen, keine Nebenrollen“, sagt sie, um keinerlei Zweifel aufkommen zu lassen. „Ich war drinnen im Geschäft. Sie sollten sich das mal anschauen. Im Internet ist ziemlich viel von mir drin.“
Gesagt, getan. Alte Fernsehprogrammhefte aus den 1950er-Jahren mit Ingeborg Cornelius als Titelbild gibt’s auf Ebay für 9,99 Euro. Autogrammkarten ab 2,99 Euro. Es gibt sogar fast schon historische Filmplakate von ihr. Ohne Nadeleinstiche kosten sie 30 Euro, mit Nadellöchern nur noch fünf. Auch allerlei Filmkritiken schwirren durchs Netz: „Gute Hausmannskost aus der Blütezeit des Heimatfilms“, heißt es einmal. Oder: „Schicksalsdramatik in einem alpenländischen Heimatfilm: Trotzige Bauern, nichteheliches Kind, Totschlag – und Versöhnung in der nächsten Generation.“
Viele Filme, die sie gemacht hat, sind heute noch bekannt. Wer an bayerische Heimatschnulzen denkt, der kommt an Ingeborg Scholz nicht vorbei. Eine kleine Auswahl ihrer Kino-Kassenschlager: „Der Herrgottschnitzer von Ammergau“, „Der Geigenmacher von Mittenwald“, „Alm an der Grenze“, „Das Licht der Liebe“, „Wo der Wildbach rauscht“ und eben „Die schöne Tölzerin“.
Ingeborg Scholz hat Oberbayern auf der Leinwand verewigt. Sie hat die arme Schneiderstochter gespielt, die schöne Magd oder gleich die zukünftige Ehefrau. Aber eine Bayerin ist sie halt doch nicht. Sie schaut auf den Zeitungsschnipsel vor ihr und sagt: „Dass ich aus Bad Tölz stamme, das hat unser Pressereferent damals einfach erfunden. Das war ein unguter Kerl. Ich habe ihn gefragt: Wie kommen Sie dazu, aus mir eine Tölzerin zu machen?“ Seine Antwort: „Das ist doch gut für Ihr Image.“
Sie ist heute noch wütend über diese Flunkerei. „Die haben alle gedacht, mit einem jungen Mädel können sie das machen“, sagt sie. Dabei ist sie in Wien geboren, die Vorfahren stammen aus Frankreich und dem Sudetenland. „Ich hab ja auch nie richtig Bairisch gesprochen“, sagt sie. „Das kann ich bis heute nicht. Den süddeutschen Klang hab ich ja, aber der Bayer hat eine ganz andere Melodie, nämlich keine. Das find ich so wunderbar. Die sind so knapp und kurz und so witzig.“ Trotzdem wurde sie immer wieder für bayerische Rollen besetzt – vor allem für Verfilmungen von Ganghofer-Romanen.
So kam es auch zu diesem Artikel. Zum 100. Todestag des bayerischen Heimatautors haben wir zwei Sonderseiten veröffentlicht, die Ingeborg Scholz gelesen hat. Kurz darauf hat sie in der Redaktion angerufen und gefragt: „Wissen Sie, wer Ingeborg Cornelius ist? Wollen Sie vielleicht mal was über mich schreiben? Die Kollegen, mit denen ich damals gedreht habe, sind alle tot. Nur ich bin noch übrig.“
Antwort: Klar wollen wir über Ingeborg Cornelius schreiben; wir sind ja schon mittendrin. Sie hat mit Paul Richter, Georg Thomalla und Richard Häussler gespielt. Sie ist so was wie die fast vergessene Königin des Heimatfilms. Und sie ist eine gut gelaunte, topfitte, freundliche Seniorin, die beim Interview Kekse und Wasser anbietet und bergeweise alte Fotos, Zeitungsausschnitte und Filmkritiken herzeigt.
Aber ein bisschen hadert sie doch mit ihrem Schicksal. „Ich weiß es auch nicht, warum es so gelaufen ist, dass ich nach meinem Gefühl zu wenig bekannt bin für das, was ich gemacht habe“, sagt sie. „Ich war ja eigentlich fast immer in München.“
Ingeborg Scholz findet, dass Ingeborg Cornelius schon ein bisschen mehr Ruhm verdient hätte. Es freut sie, dass sie noch heute Fanpost bekommt. „Da steht immer das Übliche drin“, sagt sie. „Größte Schauspielerin und so weiter.“ Es ist auch eine Genugtuung für sie, dass die Wiederholungen von „Wo der Wildbach rauscht“ heute noch im Fernsehen laufen, manchmal viermal im Jahr in BR, NDR oder ORF.
Ganz vergessen ist sie längst nicht. Im Seniorenheim wurden vor einiger Zeit ihre Filme für alle interessierten Bewohner gezeigt. Die Veranstaltung soll ein großer Erfolg gewesen sein.
Aber wahrscheinlich ist es halt so: Ein bisschen Star geht nicht. Als sie jung war, war sie eines der bekannteren Filmgesichter im deutschsprachigen Raum. Als sie ihre große Liebe, den Schauspieler Erich Scholz, in Amsterdam geheiratet hat, kam das in den Morgennachrichten im Radio. „Ich habe meiner Mama versprochen, dass ich es ihr vorher nicht sage, wenn ich heirate“, erzählt sie und lacht. „Mittags habe ich vom Rathaus aus daheim angerufen, da sagte sie: ,Ich weiß es schon. Es kam im Rundfunk‘.“
So war damals. Sie war mittendrin. Sie hat viel gedreht, viel Theater gespielt, irgendwann hat es nicht mehr ganz so viele Anfragen gegeben. Sie hat bei Werbe-Drehs mitgemacht, für Aspirin, für Waschmaschinen, Schokolade, Jacobs Kaffee und viele andere Sachen. „Die Tölzerin und der Wildbach haben mir am meisten Spaß gemacht“, sagt sie heute. „Da hatte ich wunderschöne Kostüme.“
„Die schöne Tölzerin“ handelt davon, wie die Panduren, eine Art Legionärstruppe, angeführt von dem charismatischen Franz Freiherr von der Trenck, Bad Tölz überfallen und im Jahr 1742 damit drohen, den Ort niederzubrennen. So weit kommt es natürlich nicht. Die Geliebte des Kurfürsten Albrecht rettet ihre Vaterstadt im Film vor den Panduren. Der Heimatstreifen aus der bayerischen Geschichte kam auch in die österreichischen Kinos. „Aber wer kennt in Wien schon Tölz“, sagt Scholz, „also lief er unter dem Titel ,Die Edelweißbraut‘.“
Drama, Liebe, Heimat, Happy End. Das waren noch Filme. „Ich finde das schrecklich, was sie heute im Fernsehen machen“, sagt Scholz. „In unserer schlechten Zeit können sie nicht genug schießen. Es gibt keinen irgendwie erheiternden Film. Keine Doris Day.“ Und auch keine Ingeborg Cornelius. Aber es gibt ein bisschen Hoffnung. In der Adventszeit veranstaltet die Schauspielerin immer Lesungen mit weihnachtlichen Geschichten im Seniorenheim. „Ich suche jetzt schon die Texte raus“, sagt sie.
Einmal Profi, immer Profi.