„Von den Bergen bin ich ganz weg!“ Das hat Marie von Preußen, seit 1842 die Ehefrau des bayerischen Thronfolgers Maximilian II. und Mutter von Ludwig II., ganz verzückt ausgerufen bei ihrem ersten Aufenthalt auf Schloss Hohenschwangau. Sie ist eine enthusiastische Naturliebhaberin und wird in Bayern als „erste Alpinistin“ angesehen. Sie lässt sich sogar eine spezielle Kleidung für ihre Touren anfertigen: ein Wanderkleid samt Hosenbeinen. Wenn es steil wird und sie außer Sichtweite ihrer Entourage ist, dann kann sie den Rock ablegen.
Die junge Hohenzollernprinzessin aus Berlin hatte das Wandern bereits in ihrer Kindheit im schlesischen Riesengebirge lieb gewonnen. Öfters steigt sie dann mit ihren Söhnen Ludwig und Otto von Hohenschwangau aus auf den Säuling, im Sommer 1854 sogar auf den Watzmann. Für ihre Weggefährten gründet sie einen „Alpenrosenorden“. Und sie hat den Ehrgeiz, als erste Frau überhaupt die Zugspitze zu besteigen. Doch daran wird sie durch ein Verbot ihres Ehegatten gehindert: Der befindet das als „unziemlich für eine Königin“. Als ihr deutlich älterer Mann 1864 stirbt, ist sie erst 38 Jahre alt. Erst dann erfüllt sie sich diesen Traum.
Da war ihr als Erstbesteigerin aber schon Caroline Pitzner (1822-1908) zuvorgekommen. Die Ehefrau eines Forstmeisters in Partenkirchen, der sie auch gemalt hat, hat am 22. September 1853 als erste Frau die Zugspitze bestiegen – also 33 Jahre nach dem Erstbesteiger Leutnant Naus.
Zurück zur schönen Marie von Preußen: Sie ist als „sanft und fügsam“ und „ein Engel“ beschrieben worden, ihre Ehe mit Maximilian II. galt als ausgesprochen liebevoll und warmherzig. Beim Volk war sie sehr beliebt. Das lag sicher auch daran, dass sie so viel durch das Land gereist und gewandert ist.
Nachdem sie verwitwet war, zog sie sich mehr und mehr in die Berge zurück: Als es in Hohenschwangau zu Reibereien mit ihrem Sohn Ludwig kam, wurde Elbigenalp im Tiroler Lechtal zu ihrem Refugium.
Noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein war Frauensport verpönt und hatte mit Vorurteilen zu kämpfen, wurde als unweiblich und suffragettenhaft angesehen. Allenfalls über Tennis und Golf ließ sich reden. Ebenso blieb der Alpinismus lange Zeit eine Männerdomäne. Eine, die dazu beitrug, dass sich das änderte, war die Filmregisseurin Leni Riefenstahl, bis heute bewundert für ihre grandiose Bildästhetik des Sportes, aber in gleicher Weise umstritten, weil sie ihre Kunst in den Dienst der NS-Propaganda gestellt hat.
Ein Sprung zurück in das Jahr 1911: Pauline Herzog, genannt Paula, war eine junge Frau aus dem Arbeitermilieu, sie und ihre beiden Brüder sympathisierten mit den Idealen des Sozialismus. Die Familie stammte aus Fürth und war im April 1897 nach München übergesiedelt. Im August 1911 ist der 18-Jährigen zusammen mit ihren Brüdern Otto und Christian die Erstbesteigung der berühmten „Herzogkante“ an der Lalidererwand geglückt. Und das kam so:
Ihr vier Jahre älterer Bruder Otto war einer der besten Extremkletterer vor dem Ersten Weltkrieg. Der gelernte Schreiner und Tüftler zur Verbesserung der Kletterausrüstung versuchte den ersten Wanddurchstieg durch die abschreckende Riesenwand, musste jedoch wegen eines Gewitters in Wandmitte den Rückzug antreten. Danach hatte sein überforderter Gefährte keine Lust mehr. Otto holte daraufhin Paula und Christian ins Karwendel und stieg mit ihnen in die Herzogkante ein. Diese Route im Schwierigkeitsgrad 5 ist wegen ihrer Brüchigkeit und Länge ernsthafter einzustufen als so manche gut abgesicherte moderne Sportkletterroute unserer Tage.
Das Klettern am Limit war vor hundert Jahren weitaus gefährlicher als heute, die Todesrate erschreckend hoch: Es gab noch keine elastischen Kunststoffseile, Bohrhaken und Klemmgeräte. Jeder Rückzug aus einer Wand war extrem riskant. Mit der primitiven Ausrüstung von damals kamen die drei rasch voran. In der vorletzten schweren Seillänge – ein Quergang in die gruselige Nordwand hinaus, dann ein überhängender Riss mit 700 Metern Luft unter den Sohlen – musste die Seilschaft noch eine psychisch besonders fordernde Passage überwinden, doch auch Paula zog das durch. Keine Frau war bis dahin jemals eine vergleichbar schwere Route geklettert. Aber das ist alles, was von dieser wagemutigen Frau überliefert ist. Kein Foto, nichts Biografisches.
Damit teilt sie das Schicksal ungezählter „vergessener Begleiterinnen“. RAINER BANNIER