Kaltenberg/Steingaden/Hohenschwangau – Gerhard von Hößlin muss sich vor Lachen den Bauch halten. „Er bekommt eine eigene Nummer“, sagt der Jäger aus Fürstenfeldbruck lachend. Der ehrenamtliche Helfer des Löwenmarsches überreicht die Startnummer dem wohl kleinsten Teilnehmer: Ginger. Der freut sich und leckt die Plastikkarte ab. Ginger ist ein dunkelhaariger Cavalier King Charles Spaniel. Der Hund von Manfred Fischer. „Auch der Kleine spendet fleißig mit“, sagt dieser augenzwinkernd. Beide haben im Gegensatz zu vielen anderen gut geschlafen in der Nacht. „Wir steigen erst hier ab der Wieskirche in den Marsch ein.“ Der Hund würde die vollen 100 Kilometer nicht packen. „Aber das letzte Viertel der Strecke ist sowieso das schönste.“
Der gleichen Meinung ist auch Prinz Ludwig von Bayern, 38 Jahre alt, Ururenkel von König Ludwig III. Er hat auch heuer zum Löwenmarsch gerufen. Aufgrund einer Teilnehmerbeschränkung bis zu 500 Personen sowie eines Hygienekonzeptes konnte der Benefiz-Lauf auch im schwierigen Jahr 2020 stattfinden. Am Wochenende liefen er und die Teilnehmer von Kaltenberg bis Hohenschwangau innerhalb von 24 Stunden 100 Kilometer weit. Alles für den guten Zweck: Um Spenden für das Bildungsprojekt „Learning Lions“ im afrikanischen Kenia zu sammeln. Rund 150 000 Euro sind am Sonntag dafür eingegangen. Mit gelaufen sind unter anderem Staatsminister Bernd Sibler, Bundestagsabgeordneter Michael Kießling (beide CSU) und Architekt Francis Kéré, der die neue IT-Schule in Kenia – Prinz Ludwig neuestes Projekt – plant. Als sie und 345 weitere Wanderer am Samstag starteten, schien die Sonne.
Elf Stunden später schüttet es sintflutartig. Um 1 Uhr nachts setzt Regen ein, drei Stunden lang. Im Schongauer Märchenwald sitzen goldene und silberne Kugeln aneinandergereiht: Wanderer eng eingemummt in Rettungsdecken. Mitten unter ihnen: Prinz Ludwig. Er hat heißen Tee in der Hand, sitzt zwischen Mitstreitern und Märchenfiguren. Doch länger als zehn Minuten Pause gönnt er sich nicht. Er muss weiter. „Sonst kommt man aus dem Takt“, sagt er. Verliert den Anschluss. Und vielleicht sogar die Motivation.
Um diese ist Mitorganisator Vinzenz Walderdorff sichtlich bemüht. Nicht jeder ist bereit, wieder raus in den strömenden Regen zu gehen, und weitere 45 Kilometer zu laufen. „Es sind wesentlich mehr abgesprungen als letztes Jahr“, erklärt er am frühen Morgen an der Wieskirche bei Steingaden. Dort gibt es ein kleines Frühstück. Semmeln beschmiert mit palmölfreier Schokoladencreme oder Erdnussbutter. Der heiße Kaffee wird um 7 Uhr morgens den Helfern aus der Hand gerissen. Von Hößlin heißt hier jene willkommen, die die Nacht gepackt und 75 Kilometer der Strecke hinter sich gebracht haben. Jeden fragt er: „Gehen Sie weiter?“ Josef Zirngibl aus Krumbach nickt in seiner roten Jacke mit forstgrünem Wanderhut. „Freilich“, sagt er. Er ist das erste Mal dabei. Er will durchhalten. „Aber jetzt mach ich langsamer.“ Zirngibl hat am Anfang noch versucht, mit dem „großen Pulk“ mitzuhalten. „Aber auf Dauer ist das zu anstrengend.“ In der Nacht überlegte er kurz, abzubrechen. Doch der Morgen an der Wieskirche hat ihm neue Kraft gegeben. Das Ziel hat der Schwabe wieder fest im Blick. „Nur eben gemütlicher ab jetzt.“
Bereits um 9.15 Uhr kommen die ersten am Fuß von Schloss Neuschwanstein an. Markus Ruppert, Caroline Gasteiger und Markus Kutschker sind überglücklich. „Es war ein tolles Erlebnis“, sagt Ruppert. Der Prinz folgte am frühen Nachmittag. Durchnässt, aber erleichtert und wohlauf. Das Wetter hat den heurigen Marsch „viel schwieriger als letztes Jahr gemacht“. Doch sein Ziel ist erfüllt. Nun geht es für ihn ins Bett. „Ich werd’ jetzt erst einmal eine Zeit lang schlafen.“ VON JOSEF HORNSTEINER