„Auch Windenergieanlagen, Waschmaschinen oder große Traktoren können diesen tieffrequenten Schall erzeugen“

von Redaktion

INTERVIEW: WAS GENAU IST INFRASCHALL?

Dr. Martina Lenzen-Schulte (59) ist Ärztin und Medizinjournalistin beim Deutschen Ärzteblatt und hat sich mit dem Thema Infraschall beschäftigt. Ein Gespräch über ein Phänomen, das die meisten Menschen nicht kennen.

Frau Lenzen-Schulte: Wie funktioniert Infraschall denn überhaupt?

Infraschall ist tieffrequenter Schall unter 20 Hertz. Das menschliche Ohr kann Schall nur im Bereich zwischen 20 und 20 000 Hertz hören. Wenn nun Schall unter 20 Hertz liegt, hören wir ihn nicht. Schon unter 100 Hertz wird der Übergang vom Hören zum Fühlen von Schall langsam fließend. Schall wird dann als Ohrendruck oder Vibration beschrieben, wenn der Schalldruckpegel groß genug ist. Generell gilt: Je niedriger die Frequenz, desto höher muss der Schalldruckpegel sein, damit man Schall noch wahrnimmt.

Also können Menschen Infraschall durchaus wahrnehmen?

Ich möchte das mal an einem Lied von Herbert Grönemeyer erläutern: „Musik nur, wenn sie laut ist“. Das Lied handelt von einer tauben Frau, die Musik nur wahrnehmen kann, wenn sie sehr laut ist. So ähnlich kann man sich das mit Infraschall vorstellen. Er erzeugt kein Hörerlebnis, kann aber als Druck, Brummen oder Dröhnen wahrgenommen werden und so auch Unwohlsein erzeugen.

Was genau verursacht Infraschall?

Infraschall tritt in der Natur meist auf, wenn große Massen in Bewegung geraten, also etwa bei Meeresbrandung, hohem Seegang und starkem Wind. Aber auch seltenere Phänomene wie Erdbeben, Lawinen und Meteoriten können Infraschall verursachen. Zu den vom Menschen gemachten technischen Quellen zählen zum Beispiel Windenergieanlagen und Gasturbinen. Letztendlich können aber auch Waschmaschinen oder große Traktoren diesen tieffrequenten Schall erzeugen.

Macht Infraschall krank?

Das ist letztlich nicht wissenschaftlich geklärt. Infraschall kann, muss aber nicht als krankmachend oder belästigend empfunden werden. Zum Beispiel wird Meeresbrandung ja meist als positiv empfunden. Menschen, die unter Infraschall leiden, berichten von Schlafstörungen, psychischen Störungen, Ohrgeräuschen, Schwindel und Übelkeit.

Warum reagieren Menschen so unterschiedlich auf Infraschall?

Auch das ist noch unklar. Neben der Erklärung über verschiedene Wahrnehmungsschwellen – Empfindlichkeiten also – gibt es die These, dass manche Menschen vielleicht durch Anomalien im Gleichgewichtsorgan des Innenohres anfälliger für Infraschall sein könnten.

Mit welchen Folgen?

Ärzte haben mir berichtet, dass Patienten, die neben Windkraftanlagen wohnen, übermüdet und reizbar sind, weil ihr Schlaf gestört ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die Schilderungen nicht immer auf Verständnis stoßen, da Infraschall nicht von allen als krankmachend oder störend empfunden wird und sich Mediziner über die Beurteilung von Infraschall nicht einig sind. Dadurch fühlen sich die Betroffenen zusätzlich missverstanden. Außerdem entwickeln manche von ihnen echte Existenzsorgen. Wohnen sie zum Beispiel neben einer Windkraftanlage, müssten sie wegziehen, um der Infraschallquelle zu entkommen.

Sind diese negativen Folgen behandelbar?

Das ist eigentlich kaum möglich, weil wir nicht ganz sicher wissen, welche gesundheitlichen Auswirkungen wir ganz klar dem Infraschall zuschreiben können. Wenn zum Beispiel Schlafstörungen mit Schlafmitteln behandelt werden, ohne den Grund dafür zu beseitigen, müsste ein Betroffener sein Leben lang Schlafmittel nehmen, wenn er der Infraschallquelle ständig ausgesetzt ist. Das wäre nicht zu verantworten.

Warum wissen wir so wenig über die Auswirkungen von Infraschall?

Weil das kaum gefördert wird. Dabei gäbe es genügend Anlässe und wissenschaftliche Ansätze, um Infraschall und die damit verbundenen gesundheitlichen Phänomene zu erforschen. Aber wo nicht gefördert wird und keine Gelder bereitstehen, wird es auch künftig keine Erkenntnisse geben. In Deutschland gibt es zum Beispiel erschreckend wenig medizinische Studien über Infraschall. Einige niedergelassene Kollegen beklagen das bitterlich, da sie Betroffenen derzeit kaum helfen können.

Interview: Oskar Paul

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