München – Wenn Simone Wagner ihren Vorgarten betritt, ist der Ansturm groß. Fünf Hühner rennen der 35-Jährigen in der Hoffnung auf Futter entgegen, Zwerghahn „Nugget“ und die drei Küken bleiben lieber auf Abstand. Seit April wird im Vorgarten der Wagners gegackert und gepickt. „Ich hatte halt Zeit während Corona“, sagt die Bad Grönenbacherin. „Ich habe mich mit dem Zustand des Gartens beschäftigt und da ist mir die Idee gekommen.“
Damit waren Simone Wagner und ihre vierköpfige Familie im Unterallgäu nicht allein. 61 Geflügelhalter haben sich von Januar bis Ende Juli 2020 beim dortigen Landratsamt neu angemeldet, die meisten davon mit wenigen Tieren. Obwohl es keine bayernweiten Zahlen zu Hobbygeflügelhaltern gebe, könne man einen Trend zu kleineren Geflügelhaltungen erkennen, heißt es vom Bayerischen Landwirtschaftsministerium. Das sei „grundsätzlich zu begrüßen“, sagt ein Sprecher. Die Haltung der Tiere setze aber auch ein solides Wissen über deren Bedürfnisse und die Auswirkungen auf die Nachbarschaft voraus.
Anna Vogel aus Neubiberg setzt deshalb auf Wachteln statt Hühner. In der Reihenhaus-Siedlung im Kreis München finden die Tiere in einer vier Quadratmeter großen Voliere Platz. „Und sie machen keine großen Geräusche“, sagt die 37-Jährige. Gleichzeitig haben ihre drei Kinder damit Haustiere, die auch einen Teil der in dem Haushalt verzehrten Eier beisteuern. „Die Nachbarn finden es auch total nett“, sagt Vogel, „das ist also nicht nur was fürs Land.“
Obwohl ihre Hennen und Hahn „Nugget“ durchaus für einen ordentlichen Geräuschpegel sorgen können, hatte Simone Wagner im Allgäu nach eigener Aussage ebenfalls noch keine Probleme mit den Nachbarn. „Es ist unfassbar, wie viele Leute sich darüber freuen“, sagt sie. „Und die Kinder wissen dadurch auch gleich, dass die Eier nicht aus dem Supermarkt kommen“, sagt Vater Achim.
Bei Geflügelzüchter Martin Bauschmid aus Bockhorn im Kreis Erding ist die Nachfrage während der Pandemie „explodiert“, wie er sagt. „Da sind viele junge Familien darunter, die sich schon länger damit befasst haben“, sagt Bauschmid. „Wegen Corona hatten sie nun die Zeit, sich darum zu kümmern – wegen Kurzarbeit oder weil der Urlaub ausgefallen ist.“
Informiert haben sich Familie Wagner und Familie Vogel vorab im Internet. Neue Geflügelhaltungen müssen in Bayern bei drei Stellen angemeldet werden: dem Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, der Tierseuchenkasse und beim zuständigen Veterinäramt. Außerdem gilt für Hühner und Puten eine Impfpflicht gegen die Newcastle-Krankheit.
Bernd Adleff, Vorsitzender des Landesverbands der Bayerischen Geflügelwirtschaft, sieht den neuen Trend mit gemischten Gefühlen. „Es ist immer gut, wenn die Menschen wieder mehr Bindung zum Tier haben und sehen, wie viel Arbeit bei der Haltung dahintersteckt.“ Es gebe aber auch einige Fallstricke. „Zum Beispiel, weil es immer schwieriger wird, ordentliches Futter für die Tiere in kleinen Mengen zu bekommen.“ Auch wenn nachgeimpft werden muss, seien die Impfstoffe häufig nur in größeren Dosen zu bekommen. „Leider haben die Halter von einzelnen Hühnern oft keinen Tierarzt an der Hand, der sie beraten kann.“ Dazu gehöre auch, sich Gedanken zu machen, was passiert, wenn das Huhn mal nicht mehr so viele Eier legt wie in den ersten Monaten. „Bin ich dann bereit, das Huhn zu schlachten? Und wenn ja, wo und wie?“ Wichtig sei deshalb, dass sich Interessierte umfassend informieren – etwa bei lokalen Geflügelzuchtvereinen.
Profitieren können diese Vereine vom Hühner-Hype bisher aber nur begrenzt. Einige Hobbyhalter würden zwar Mitglieder, seien aber im Vereinsleben wenig aktiv, sagt Ute Hudler, stellvertretende Vorsitzende des Verbands Bayerischer Rassegeflügelzüchter. Sie selbst versuche, über einen Volkshochschulkurs Interessenten zu gewinnen.
Familie Wagner sieht sich auch ohne eine Vereinsmitgliedschaft gut für die Geflügelhaltung gerüstet. „Hund, Katzen und Hühner vertragen sich“, sagt Simone Wagner. „Wir haben es bisher keinen Tag bereut, uns die Tiere geholt zu haben.“