MASSGESCHNEIDERT

von Redaktion

Beim Kochwettbewerb einer Zeitschrift wurde zum Erstaunen kulinarisch vorgebildeter Leser der Schweinsbraten einer niederbayerischen Hausfrau samt Soße, Sauerkraut und Semmelknödel mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Also nicht etwa eine Truthahnbrust, die durch allerlei Küchentricks wie Jungkrokodil-Leber à la Hawaii schmeckte, sondern ein simples Alltagsgericht, das allerdings vollendet zubereitet war. Alltagsgericht stimmt übrigens nicht. Der Schweinsbraten war in der Vorkriegszeit und noch geraume Zeit danach die klassische Sonntagsmahlzeit nicht nur in München, sondern in weiten Teilen Bayerns, und da und dort, wo Küchentradition noch etwas gilt, ist er’s noch heute. Allerdings handelte es sich früher sozusagen um eine urgesunde bayerische Sau, während wir es heute mit einem gestressten deutschen Magerschwein zu tun haben, das aus Massentierhaltungen kommt und mit BeruhigungsmitteIn den letzten Gang anzutreten pflegt. Wenn ich an die Schweinsbraten-Sonntage meiner Jugend denke, läuft mir augenblicklich das Wasser im Mund zusammen. Schmeck ich aber in Gedanken genauer nach, ist’s gar nicht der Braten selber, sondern die Knödel und die Soß, denen meine postume Begeisterung gilt.

Wer legt heute noch Hand an solche Knödel? Da gab’s die aus rohen und die aus gekochten Kartoffeln und jene, für die rohe und gekochte Erdäpfel in einem bestimmten Verhältnis gemischt wurden, und andere, die man innen noch mit abgerösteten Semmelbröckerln anreicherte.

Wie schwer aber war und ist die Frage zu beantworten, ob vielleicht Semmelknödel nicht doch besser zum Schweinsbraten schmecken. Wie dem auch sei, mein Freund Ritschi aß jedenfalls regelmäßig fünf Stück gleich welcher Bauart, und wer nicht mindestens drei schaffte, galt als „Schnapper“ und hatte allen Grund, sich zu schämen.

Es war ja damals nicht so, dass man übersättigt gewesen wäre und an allem herumklaubte und lustlos im Teller stocherte. Von der kargen Werktags-Kost hatte sich redlich Appetit angesammelt. Beim Schweinsbraten am Sonntag war das Stück Fleisch zwar Zierde und Mittelpunkt, die Knödel, der obligate Kartoffelsalat und/oder das Sauerkraut aber die Artillerie, mit der der Haupthunger niederkartätscht wurde. Und der satte Seufzer „So – jetzt kon i nimmer“ drückte gleichzeitig höchste Befriedigung wie tiefstes Bedauern aus.

Zieht man von 52 möglichen Schweinsbraten-Sonntagen ein paar gefüllte Kalbsbrust-Abweichungen, eine Kirchweihgans, etliche Sonntagsausflüge mit mitgeführten Fleischpflanzerln und einige wenige Gasthausbesuche ab, bei denen man kulinarisch fremdging, blieben im Jahr noch knapp 40 übrig, gewiss nicht zu viel für Mutters wackere Knödelvertilger. In dieser Dosierung und bei eher kleinen Fleischportionen richtete das Schweinsbraterl bestimmt keinen Schaden an. Eher gefährdet waren da schon gewisse Privatiers und Hausbesitzer, die sich auch unter der Woche an fetten Schweinshaxen gütlich taten und keinen Frühschoppen und keinen Dämmerschoppen ausließen. So mancher von denen ist im besten Alter mit einem „Schlagerl“ abgegangen.

Das Allerschönste vom Schweinsbraten-Sonntag hab’ ich mir zum Schluss aufgehoben: Das war der Abend, wenn die aufgewärmten Reste mit Hausbrot aus der Reine herausgetaucht wurden. Wie da die Familie im Kreis um das Kultgefäß saß, aus dem ein herrlicher Duft aufstieg, und mit der Gabel eine kunstvoll verschlungene Aufsaugkür hinlegte, das erinnerte an Paarlauf in höchster Vollendung.

Die Möglichkeit, an einer solchen Bratrein’ zu sitzen, ließe mich noch heute ein Angebot Witzigmanns, für den Vorzugspreis von 20 Euro an seiner Tafel zu speisen, ablehnen.

An dieser Stelle schreibt unser Turmschreiber

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