„Wir Gehörlosen werden oft vergessen“

von Redaktion

INTERVIEW Markus Beetz berichtet, wie sich sein Alltag durch die Maskenpflicht verändert hat

Seit einem halben Jahr tragen fast alle Menschen eine Maske. Für gehörlose Menschen ist der Alltag dadurch sehr viel schwerer geworden. Sie können nicht mehr von den Lippen ablesen – und das ist nicht das einzige Problem, mit dem sie zu kämpfen haben. Markus Beetz, 43, ist gehörlos. Gerade zu Beginn der Krise seien Menschen wie er vergessen worden, sagt er. Und auch heute noch gibt es knifflige Situationen – zum Beispiel, wenn er einen Coronatest machen müsste.

Wie schwer ist Ihr Alltag durch die Maskenpflicht geworden?

Vor allem für gehörlose Senioren ist die Kommunikation durch die Maskenpflicht sehr schwierig geworden. Viele von ihnen sind damit aufgewachsen, von den Lippen abzulesen. Für sie ist es deshalb sehr wichtig, das Mundbild zu sehen. Jüngere Leute können auch gut mit Gebärdensprache kommunizieren – oder mit Gestik und Mimik.

Das heißt, einige Gehörlose sind in der Corona-Krise noch isolierter als bisher?

Ja, das ist auf jeden Fall so. Vor allem die Menschen, die auf dem Land leben. In den Städten sind auch die Senioren noch etwas selbstbewusster in Supermärkten oder an Bankschaltern. Sie kommunizieren zum Beispiel schriftlich. Man kann nicht sagen, dass alle isoliert sind, das ist sehr individuell. Für mich ist es zum Beispiel völlig in Ordnung, die Maske zu tragen, ich finde andere Wege, um mich zu verständigen. Zum Beispiel nutze ich Zettel und Stift. Oder Gesten.

Sind alle Gesprächspartner sofort bereit, Zettel und Stift anzunehmen? Welche Reaktionen bekommen Sie?

Stimmt schon, ich erlebe es manchmal, dass Leute auf Abstand gehen, wenn man ihnen Zettel oder Stift hinhält. Weil sie wegen Corona nichts anfassen möchten. Dann halte ich ihnen den Zettel einfach entgegen, sodass sie lesen können. Die Leute reagieren sehr unterschiedlich. Viele sind offen, freundlich und tolerant. Andere sind zurückhaltend oder ablehnend.

Ist es für Sie durch die Masken schwerer zu merken, dass Sie angesprochen wurden?

Ja, wenn eine Person den Mundschutz trägt, weiß ich nicht, ob sie mich meint oder jemand anderen. Das ist tatsächlich ein Problem. Ich muss erst darauf aufmerksam machen, dass ich ein Signal brauche, um zu wissen, ob ich gemeint bin.

Wie blicken Sie auf das letzte halbe Jahr zurück? Sind Gehörlose in der Krise oft vergessen worden?

Anfangs auf jeden Fall. Die Informationen der Bundesregierung zu Corona kamen bei uns Gehörlosen verspätet an. Erst nach und nach wurden bei den Pressekonferenzen und Nachrichtensendungen Dolmetscher eingeblendet. Oft fehlten sie aber. Wir haben uns an die Regierung gewandt und darauf hingewiesen, dass ein barrierefreier Informationsfluss wichtig ist, um alle zu erreichen. Denn gerade zu Beginn der Pandemie waren viele Gehörlose sehr verunsichert und mussten sich bei Hörenden erkundigen. Ich finde es wirklich schade, dass wir in Deutschland noch so oft vergessen werden. Das ist in anderen Ländern anders. In den USA zum Beispiel wurde sofort ein Gebärdensprache-Dolmetscher an die Seite des Präsidenten gestellt, das ist dort ganz selbstverständlich. In dieser Hinsicht sind sie uns deutlich voraus.

Wie wäre Ihre Situation, wenn Sie ins Krankenhaus müssten oder sich freiwillig testen lassen wollen? Welche Hilfen gibt es?

Das ist nicht einfach. Für einen Coronatest können wir Gehörlose zwar einen Dolmetscher bestellen. Aber wir haben in Bayern einen großen Mangel an Dolmetschern. In München gibt es 50 – aber 1600 gehörlose Menschen. Es dauert etwa drei Wochen, bis man einen Dolmetscher bekommt. Ein schneller freiwilliger Test ist für uns eigentlich fast nicht möglich.

Sind Gehörlose oder Menschen mit Einschränkungen durch Corona noch mehr an Rand gedrängt worden, weil viele nun mit eigenen Sorgen beschäftigt sind?

Ja, das Bewusstsein für unsere Situation ist jetzt noch geringer. Corona ist in unserer Gesellschaft jetzt das große Thema, andere Probleme rücken in den Hintergrund. Die fehlenden Dolmetscher an den Teststationen oder Nachrichten ohne Gebärdensprache oder Untertitel sind nur zwei Beispiele dafür, dass wir Gehörlosen oft vergessen werden.

Das Interview mit Markus Beetz führte Katrin Woitsch mit Hilfe einer Dolmetscherin, die per Videochat die Fragen in Gebärdensprache übersetzte.

Artikel 1 von 11