Bayern ist spitze bei Bürgerentscheiden

von Redaktion

VON DIRK WALTER

München – Waldsassen in der Oberpfalz machte den Anfang: Am 10. Dezember 1995 stimmten die Bürger dort über eine Umgehungsstraße ab – der erste Bürgerentscheid auf kommunaler Ebene in Bayern. Erst kurz zuvor war der Weg dafür frei geworden. Bei einem Volksentscheid auf Landesebene hatten am 1. Oktober 1995 57,8 Prozent für den Vorschlag des Vereins „Mehr Demokratie in Bayern“ gestimmt, auf kommunaler Ebene Bürgerbegehren und -entscheide einzuführen. Die CSU hatte einen Alternativvorschlag vorgelegt, der jedoch durchfiel.

Was damals Aufsehen erregte, ist heute fast Normalität: „Frühere Befürchtungen, Bürgerentscheide würden die repräsentative Demokratie aushöhlen und Gemeinderäte faktisch kaltstellen, haben sich nicht bestätigt“, sagt Wilfried Schober vom Bayerischen Gemeindetag. Deutschlandweit gab es seit 1956 8100 Bürgerbegehren in den Kommunen, mehr als 3200 Verfahren und knapp 2000 Bürgerentscheide zählte der Verein „Mehr Demokratie“ allein in Bayern. Das sind 40 Prozent aller Entscheide in Deutschland überhaupt. Bayern habe somit „mit Abstand“ die meisten Bürgerbegehren und -entscheide.

Den vorerst letzten gab es erst am vergangenen Sonntag in Bad Wiessee am Tegernsee: Die Bürger stimmten mit überwältigender Mehrheit für den Neubau eines Schwimmbads („Badepark“). Überregional kaum von Interesse, vor Ort aber das Megathema. So ist es meistens, sagt Susanne Socher, Geschäftsführerin des Vereins, die Bürger bei der Organisation von Bürgerbegehren und -entscheiden berät. Sie blickt auf ihre Themenliste. „Da gibt es eigentlich nichts Verrücktes.“ Der Discounter um die Ecke, der neue Spielplatz, das Gewerbegebiet, die Umgehungsstraße, neuerdings verstärkt Radverkehr – das sind die Klassiker, über die abgestimmt wird. „Es sind alles bodenständige Themen.“ Wilfried Schober vom Bayerischen Gemeindetag bestätigt das: „Das ist kein Instrument für Demagogen, die über jeden Blödsinn abstimmen wollen.“ Die Notwendigkeit, in einem Bürgerbegehren erst Unterschriften sammeln zu müssen, verhindere das wohl. Das Ungewöhnlichste, das Schober einfällt, war ein Entscheid über ein Krematorium in Kolbermoor.

Überregional am bekanntesten sind wohl die Münchner Entscheide: 1996 die von Peter Gauweiler, ursprünglich übrigens Gegner der Basisdemokratie, initiierte Abstimmung über „drei Tunnel für München“, 2001 das Bürgervotum für den Bau der Allianz Arena, 2004 die Abstimmung gegen Hochhäuser, die über 100 Meter hoch sind – und 2012 der Bürgerentscheid gegen die dritte Startbahn am Flughafen.

Startbahn und Hochhäuser stehen zugleich exemplarisch für eine Frage, die immer wieder hochköchelt: Wie lange gilt so ein Entscheid eigentlich? Die Bindungswirkung ist laut Artikel 18a der Bayerischen Gemeindeordnung auf ein Jahr begrenzt, die moralische Bindung ist meist viel länger. Selbst heute noch hält sich München an den Hochhaus-Beschluss.

Susanne Socher plädiert dafür, die Bindungsfrist ganz abzuschaffen. „Ein Gemeinderatsbeschluss gilt ja auch ohne zeitliche Grenze.“ Auch würde der Verein gerne das Zustimmungsquorum in mittelgroßen Orten (20 000 bis 50 000 Einwohner) absenken – von 20 auf 15 Prozent. Beide Änderungen müsste indes der Landtag beschließen – es gibt dafür keine Anzeichen.

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