Freising/Bergkirchen – Mit einem Ruck öffnet Thomas Kühn die Tür der Klimakammer, geht hinein und beugt sich zu einer grauen Kiste hinunter. Als er sie hochhebt, ächzt er kurz. „Die ist schwer.“ Es gibt keinen Deckel. Der Inhalt der Kiste sieht aus wie Erde, doch als Thomas Kühn seine Finger hineingräbt, kommen tausende Larven zum Vorschein. Die Larven der schwarzen Soldatenfliege. Innerhalb von fünf Sekunden haben sich die Tiere wieder eingegraben. „Sie sind sehr agil und können relativ große Distanzen zurücklegen“, sagt er.
Für Thomas Kühn und seine Mitgründer Wolfgang Westermeier und Andre Klöckner sind die Larven die Zukunft der Landwirtschaft. Die drei haben vor eineinhalb Jahren das Start-up FarmInsect in Bergkirchen (Kreis Dachau) gegründet. Sie verkaufen Mastanlagen für Insekten an Landwirte. Damit können die Bauern ihre eigenen Larven züchten, um sie später an ihre Schweine, Hühner oder Fische zu verfüttern. Durch diese alternative Futtergewinnung lasse sich bis zu 50 Prozent CO2 einsparen, sagen die Gründer. Denn die Larven werden regional produziert.
Aktuell verfüttern die Bauern zum Beispiel Soja- und Fischmehl. Fischmehl gilt als das teuerste und beste Protein in der Tiermast. „Das Problem dabei ist aber, dass ein Drittel des weltweiten Fischfangs als Fischmehl verwertet wird“, sagt Thomas Kühn. „Dazu kommt noch, dass vor den Küsten Südamerikas gefischt und das Mehl einmal um die Welt geliefert wird.“ Mit dem Sojamehl verhält es sich ähnlich. „90 Prozent des Sojas, das im Regenwald Brasiliens angebaut wird, landet als Sojamehl in Europa“, sagt Kühn. Larven als Futtermittel verbessern laut Thomas Kühn gleichzeitig das Wohlbefinden der Tiere. „Tierisches Protein ist besser als pflanzliches“, sagt er. „So lassen beispielsweise Schwanzbeißen und Federpicken nach.“
In der Technikumshalle auf dem Campus Weihenstephan in Freising hat das Startup seine Anlagen stehen. Die Junglarven züchten sie in zwei separaten Räumen der Halle. Im ersten Raum sind die Fliegen in zwei Netzkammern untergebracht und legen dort ihre Eier. Die werden alle zwei Tage geerntet. Eine Ausbeute wiegt um die 100 Gramm. Eine Tür weiter befindet sich der Inkubator, in den die Eier gelegt werden. Dort bleiben sie etwa sieben Tage, bis zum Stadium der Junglarve.
In diesem Stadium würde FarmInsect sie im späteren Regelbetrieb zum Bauern bringen, der sie anschließend weitere sieben Tage mästet. Momentan machen das noch Kühn, Westermeier und Klöckner. Die Mastanlage ist hochautomatisiert. In einem Kessel wird Wasser mit Reststoffen wie Gras, Fallobst oder Maisspindel vermischt. Diese Reststoffe fallen in der täglichen Arbeit eines Landwirts an. Dadurch lassen sich laut FarmInsect ebenfalls 50 Prozent CO2 einsparen, da die Reste sonst entsorgt werden müssen. „Das sind aber gute Futtermittel für die Larven“, sagt Kühn. Der Bauer spart so 20 Prozent an Futterkosten ein und hat gleichzeitig 50 Prozent Gewinn. Die Futtermischung wird dann automatisch über einen Schlauch in die Kisten gefüllt. Danach kommen in jede Kiste etwa 40 000 Larven.
Der Landwirt schiebt die Kisten mit den Larven dann in eine Klimakammer. Aktuell passiert das noch im Startup. Auch die Klimakammer ist automatisiert. „Wir überwachen sie 24 Stunden, sieben Tage die Woche, auf Temperatur, Feuchtigkeit und CO2-Gehalt“, sagt Kühn. „So schauen wir, wie es den Larven geht.“ Im Umkehrschluss bedeutet das für den Bauern, dass er sich darum nicht kümmern muss. Innerhalb von sieben Tagen legen die Larven um den Faktor 1000 an Gewicht zu. Danach sind sie schlachtreif. Dafür werden sie erst von ihrem Futter, das sie in Kompost umgewandelt haben, mit einem Sieb getrennt und dann bei minus 18 Grad eingefroren. Es gibt aber auch die Möglichkeit, die Larven lebend zu verfüttern oder zu Mehl zu verarbeiten. Letztere Methode ist momentan nur bei Fischen erlaubt. Wöchentlich bekommt der Landwirt etwa eine Tonne Larven heraus, so die Rechnung von FarmInsect.
Das Start-up möchte die Mastanlage für unter 100 000 Euro verkaufen. „Bis es sich mit allen Arbeitskosten lohnt, sind es vier bis fünf Jahre“, sagt Kühn. Anfang Oktober will FarmInsect eine erste Probeanlage bei einem der größten Fischzüchter Bayerns aufbauen. Thomas Kühn, Wolfgang Westermeier und Andre Klöckner glauben daran, dass sie mit ihrem Start-up die Landwirtschaft nachhaltig verändern können. Nicht nur zum Wohle der Menschen, sondern vor allem der Tiere.