Stressiger Schulstart: „Da kriegen Lehrer Pickel“

von Redaktion

VON DIRK WALTER

München – Schulleiter zu sein in diesen Zeiten ist offenbar nicht vergnügungssteuerpflichtig. Tomi Neckov, Chef einer Mittelschule in Schweinfurt, berichtete bei einer Veranstaltung des BLLV in München über „1000 Kleinigkeiten, die einen aufhalten“. Papiere des Kultusministeriums zählen dazu. Im letzten Jahr waren es 1500 Seiten Vorgaben, hat Neckov nachgerechnet. In diesem Jahr sind ein Hygiene-, ein Lüftungs-, ein Digitalisierungs- und ein Pausenkonzept reingeflattert.

Es sind die Corona-Sorgen, über die kürzlich auch eine Personalrätin in einem oberbayerischen Landkreis bitter klagte (wir berichteten). Und die auch Neckovs Kollegin Margit Nothhaft-Buchner umtreiben. Sie ist seit 14 Jahren Leiterin einer Grundschule in Weißenburg: Im Sekretariat sei man täglich eine Stunde nur damit beschäftigt, besorgte Elternanfragen („mein Kind hat Schnupfen, darf es in die Schule?“) zu beantworten. Jede Lehrerin müsse das Händewaschen beaufsichtigen: Drei Mal täglich jeweils 26 Kinder, die im Gänsemarsch vor das kleine Schulwaschbecken antreten. Eine Klasse im Vertretungsfall auf andere Klassen aufzuteilen, sei verboten. Und, und, und – „das ist nicht die Schule, wie wir sie kennen“, sagt die Schulleiterin.

BLLV-Chefin Simone Fleischmann hat die beiden Lehrer nach München geholt, um ihre These zu untermauern. „An den Schulen in Bayern herrscht Notbetrieb“, sagt sie. Notbetrieb statt Regelbetrieb. Das betont sie mehrmals. Die Aussage von Kultusminister Michael Piazolo tags zuvor, es gebe so viele Lehrer wie noch nie, hat sie entsetzt. Warum falle es dem Minister so schwer, den Lehrermangel an Grund-, Mittel- und Förderschulen einzugestehen, fragt sie.

Es sind viele kleine Sorgen, die die Schulen drücken. Das Alltagsgeschäft ist beschwerlich. Mittelschul-Leiter Neckov berichtet: Verweise gegen Schüler, die die Maske partout nicht aufsetzen; Fragen von Lehrern, wer denn die FFP2-Maske zahle; jüngst Pornos im WhatsApp-Kanal einer Klasse. Mehrere Elternbriefe gingen schon raus. Er arbeite 60 Stunden die Woche, sagt er. Manchmal 70. Derzeit muss Neckov 470 Impfpässe kontrollieren – wegen der Masern-Impfpflicht für Schüler und Lehrpersonal. Es ist eine neue bundesweite Regelung, ersonnen vor Corona, die nun aber mitten in der Pandemie erstmals umgesetzt werden soll. Dumm nur, dass der Schulleiter ohne Sprachkenntnisse auch russische, türkische und portugiesische Dokumente prüfen soll. So oder ähnlich sei es überall, sagt Neckov. „Ich rechne ernsthaft damit, dass in diesem Schuljahr einige Schulleiter wegen Krankheit ausfallen.“

Zwei Krisen prallten derzeit „mit Wucht“ in den Schulen auf, sagt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann: neben der Corona-Krise auch der Lehrermangel. Letzteres Problem gebe es schon länger. Das Kultusministerium dürfe „die Realität nicht länger leugnen“. Statt unverbindlicher Danksagungen in kultusministeriellen Schreiben („da kriegen Lehrer Pickel“) müsse es konkrete Verbesserungen geben: attraktive Arbeitsbedingungen, eine bessere Eingangsbesoldung. Sie fordere einen Schulgipfel speziell zum Lehrermangel. An die Adresse von Piazolo sagt sie zum Schluss: „Die Show ist aus.“

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