Separatistische Gedanken

von Redaktion

Ein seltenes Zeitdokument zum Wiederaufbau Bayerns 1945

Es ist das Glaubensbekenntnis eines Extrem-Föderalisten: „Deutschland ist zu Grunde gegangen, weil es preussisch war“, schreibt der ehemalige Konsul Gebhard Seelos im August 1944. „Deutschland ist so hemmungslos dem National-Sozialismus verfallen, weil Preussentum und National-Sozialismus wesensähnlich sind.“ So könne es nicht weitergehen. „Für die Bayern bedeutet die Ausrottung des National-Sozialismus auch die Ausmerzung alles Preussischen aus Bayern“, schreibt der Münchner. „Schütteln wir die kurzlebige, unselige, preussisch-deutsche Herrschaft ab und verkünden aufs neue den souveränen Staat Bayern.“

Bayern – wieder selbstständig. Eine klare Ansage. Man muss bedenken, in welcher Zeit Seelos das schreibt: Es ist die Endphase des Zweiten Weltkriegs, aber noch hält die NS-Diktatur. Gerade erst, am 20. Juli 1944, hat Hitler ein Attentat überlebt. Gestapo und SS suchen nach Hintermännern. Auch der ehemalige Diplomat Seelos gerät unter Verdacht. Er ist damals als Dolmetscher im Kriegsgefangenenlager Moosburg tätig. Im Dezember 1944 wird er aus dem Auswärtigen Amt und dem Beamtenverhältnis entlassen.

Das hält ihn allerdings nicht ab, weiterzudenken – an die Zeit nach dem Ende des Nationalsozialismus. Er setzt sich an seine Schreibmaschine und legt auf neun Seiten seine Gedanken zum Neuaufbau Bayerns da. Überschrift: „Bayerisches Memorandum“.

75 Jahre später bekommen wir Post aus dem Schwäbischen. Ein Leser, passionierter Flohmarktgänger, hat einen zerfledderten Durchschlag des „Memorandums“ entdeckt und uns geschickt. Er braucht die Seiten nicht. Es ist ein wertvolles Dokument. Das „Memorandum“ zirkulierte in nur 30 Exemplaren unter Eingeweihten, die schon an den staatlichen Neuaufbau Bayerns nach dem Krieg dachten. Seelos handelte nicht isoliert. Viele solcher Politik-Entwürfe entstanden in dieser Zeit. Im Schweizer Exil tüftelte der spätere Ministerpräsident Wilhelm Hoegner sogar an einer neuen Bayerischen Verfassung – die später mit einigen Änderungen tatsächlich verabschiedet wurde.

In dem „Memorandum“, unterzeichnet mit „Dr. Seelos, im August 1944“, erstellt der Verfasser ein rundum positives Bild von Bayern. Mit der Ansicht, ohne Preußen hätte es den Nationalsozialismus nie gegeben, verkennt der Autor zwar die damalige historische Situation – Preußen war bis zum „Preußenschlag“ 1932 Bollwerk gegen die Nazis, während in München ja schon 1919 die „Deutsche Arbeiterpartei“ (Vorläufer der NSDAP) gegründet wurde, der Hitler auch alsbald beigetreten war. Aber nun denn: Der Ansicht, Preußen gewissermaßen die Alleinschuld am Aufstieg Hitlers zu geben, hingen damals viele eingefleischte Bayern an. Seelos stand nicht allein.

Das „Bayerische Memorandum“ bleibt in mehreren Punkten gleichwohl vage. „Wir wollen die Unabhängigkeit Bayerns“, heißt es da, „weil nur in einem selbstständigen Staat die für die Wiederherstellung bayerischer Art notwendigen, staatlichen Funktionen wirksam werden können.“ Seelos hält auch ein „Zusammengehen mit den Österreichern“ für denkbar, weil „die gleichen bajuvarischen Bluts (so im Original)“ sind“. Die Frage der Staatsform stellt er zurück – weil „auch ein monarchisches System dem bayerischen Volk seiner Geschichte und seiner Art nach vertraut ist“. Demokratisch sollte es sein, das schon.

Was wurde aus Seelos? Er engagierte sich kurz vor Kriegsende bei der Freiheitsaktion Bayern des Hauptmanns Gerngroß. 1947 wurde er Staatsrat und Bevollmächtigter Bayerns bei den Verhandlungen um die zukünftige Stellung Bayerns in Deutschland. Aus dem Separatisten war ein entschiedener Föderalist geworden, der Einfluss ausübte. 1949 trat Seelos – nicht überraschend – der Bayernpartei bei, war sogar 1949 bis 1951 Fraktionschef der Partei im Bundestag. Später war er (bis 1966) Botschafter, zuletzt in Brasilien. 1984 ist er in Seehausen am Staffelsee verstorben.

Sein „Memorandum“ soll nicht verloren gehen – wir werden es dem Münchner Institut für Zeitgeschichte übergeben. DIRK WALTER

Dr. Seelos war ein Preußen-Hasser

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