Rassismus an der Krippe?

von Redaktion

VON CLAUDIA MÖLLERS

München – Eine Schönheit ist er nicht, der schwarze König aus der Krippe der evangelischen Münstergemeinde in Ulm. Bildhauer Martin Scheible hat vor 100 Jahren für seine Figur Klischees verwendet, die nach Ansicht des Ulmer Dekans Ernst-Wilhelm Gohl als rassistisch zu bezeichnen sind (wir haben berichtet). Zum Weihnachtsfest sollen die Heiligen Drei Könige daher in der Kirche nicht aufgestellt werden. 2021 will man in Ruhe beraten, was mit der Figur passieren soll.

„Es geht uns nicht um den schwarzen König, es geht uns um die Art und Weise der Darstellung. Melchior ist mit einer Fratze und in einer grotesken Körperhaltung dargestellt“, stellt Gohl klar. Dem Dekan sei bekannt, dass die Figuren expressionistisch gearbeitet sind: „Aber die Überzeichnung der Figuren muss dann eine Grenze haben, wenn sich Menschen diskriminiert fühlen.“

Aus Ulm ist die Diskussion auch nach Bayern herüber geschwappt. „Für mich kommen mit den Heiligen Drei Königen die Erdteile zum Jesuskind“, sagt Stiftsdekan Gerhard Gumpinger aus Tittmoning (Kreis Traunstein). „Wenn wir nur weiße Könige hätten, dann würde ich die anderen Hautfarben diskriminieren.“ Das sei gerade das Schöne am Christentum: „Jeder darf kommen und ist eingeladen, dem neugeborenen Gottessohn zu begegnen.“ Das gelte für Menschen jeder Hautfarbe, aller Erdteile und jeden Lebensalters. Allerdings komme es auf die Figur an: Wenn sie karikierend dargestellt werde, dann sei das etwas anderes. In der Tittmoniger Stiftskirche gibt es eine über 300 Jahre alte Barockkrippe. Der schwarze König ist in prächtige Gewänder gehüllt. Schön und sehr stimmig findet Gumpinger die Figur. In seiner Gemeinde war diese Figur noch nie ein Stein des Anstoßes.

Andernorts wird über die Darstellung von schwarzhäutigen Menschen heftig gestritten. Wenn es etwa um Sternsinger-Auftritte geht, bei denen sich Kritiker über den schwarz angemalten König mokieren. Oder wenn in den Niederlanden über den von manchen als rassistisch angesehenen „Zwarte Piet“ (vergleichbar mit dem Krampus) gestritten wird, den Helfer des Nikolaus. „Mohren“-Apotheken werden umbenannt, auch entsprechende Gasthöfe ändern ihren Namen.

Christian Kopp, evangelischer Regionalbischof für München und Oberbayern, wirbt für eine differenzierte Betrachtungsweise. Den speziellen Fall in Ulm kann er verstehen. „Es geht nicht um das schwarze Aussehen, sondern dass hier übertriebene und verächtlich machende Merkmale in dieser Figur so extrem hervorgehoben wurden.“ Nun in Ruhe zu überlegen, wie man mit dieser übertriebenen Darstellung umgeht, nennt er eine intelligente Entscheidung. Grundsätzlich aber hält Kopp die Figur des schwarzen Königs nicht für eine rassistische Darstellung. „In unserer erregten Diskussion, in der wir uns gerade befinden, wird auch sehr übertrieben argumentiert“, warnt er.

In der Bibel sei von den Weisen aus dem Osten die Rede (siehe Kasten). Damit sei der Nahe Osten gemeint, Babylon, wo viel philosophisches Wissen gesammelt gewesen sei. Und das sei der Norden Afrikas. „Damit wird gezeigt: Bei der christlichen Botschaft geht es nicht um Israel, um Palästina, da geht es um die ganze Welt. Dazu gehört, dass Menschen unterschiedliche Hautfarben haben.“ Afrika sei im Mittelalter ein sehr wertvoller Kontinent gewesen – vieles aus der Heilkunde und kostbare Gewürze seien von dort gekommen. In dieser Zeit erhielten Apotheken den Namen „Mohrenapotheke“ – als Zeichen der Wertschätzung. Kopp hält solche Namensdebatten heute für übertrieben. „Ich bin sehr daran interessiert, dass wir sorgsam mit unseren Traditionen umgehen und unsere ganz besondere Weihnachtskultur in Ehren halten. Gerade in dieser aufgeregten Zeit müssen wir zu ihnen stehen.“ Im Ulmer Fall kann er sich vorstellen, die Figur des schwarzen Königs mit einer Plakette zu versehen, die erklärt, dass man sich heute von einer solch entwürdigenden Darstellung distanziert. Nicht entfernen, sondern klar Stellung beziehen – das ist sein Vorschag.

Bastian Riediger, Vorstand der Münchner Krippenfreunde e.V., hatte die Debatte im Zusammenhang mit den Diskussionen über „Black lives matter“ (Schwarze Leben zählen“) längst erwartet. Im Ulmer Fall sei es aber so, „dass diese Figur nicht gerade majestätisch daherkommt“. Deswegen verstehe er die Entscheidung. Er hätte es aber begrüßt, wenn man nur auf den schwarzen König verzichtet hätte. Die Diskussion insgesamt findet Riediger „leicht überspannt“. Auch er meint, dass man die Aufregung mit einem Hinweis an der Figur befrieden könnte. Grundsätzlich zum Thema der schwarzen Figuren sagt er: „Es sind ja Könige. Es ist nicht so, dass die Schwarzen in der Darstellung ganz schlecht wegkommen.“ Ganz im Gegenteil: Die farbigen Könige hätten bei vielen alten Krippen oft die prunkvollsten Gewänder. Dort habe man richtig die Fantasie spielen lassen können, „weil das unbekanntes Land war“. Riediger hält nichts davon, aus jahrhundertealten Krippen schwarze Figuren zu entfernen – „man muss es nur pädagogisch erklären“.

Der Tittmoninger Mesner Rainer Zimmermann, der alljährlich die Krippe aufbaut, kann die ganze Diskussion nicht nachvollziehen. „Bei uns würde keiner auf die Idee kommen, dass der schwarze König rassistisch wäre.“ Ihn wegzulassen, das hielte er für problematisch. Damit ist klar: In der Stiftskirche zu Tittmoning werden zur Weihnachtszeit ganz bestimmt alle Könige versammelt sein.

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