Ein Museum für den vierten Stamm

von Redaktion

VON DIRK WALTER

München – Für Ministerpräsident Markus Söder ist es die „Fortsetzung einer ganz langen Tradition“: Bayern versteht sich seit 70 Jahren als besonderer Verteidiger sudetendeutscher Kultur, die Sudetendeutschen sind der vierte Stamm der Bayern. Da war es vielleicht nur logisch, dass der Freistaat mit Unterstützung des Bundes für 26 Millionen Euro ein eigenes Museum für die Volksgruppe gebaut hat. Schließlich haben auch die Schlesier (in Görlitz), die Pommern (in Greifswald) oder auch die Ostpreußen (in Lüneburg) eigene Museen. Die Sudetendeutschen sind seit gestern nun an der Münchner Hochstraße museal verankert.

Das neue Haus überzeugt auch architektonisch. Es ist ein lichtdurchfluteter Bau am Isarhochufer unweit des Gasteigs, in dem auf fünf Stockwerken transparent und vielschichtig die Geschichte der Sudetendeutschen gezeigt wird. Mit einem intelligenten Leitsystem am Boden – etwas, was man in vielen Museen vermisst – irrt man nicht willkürlich umher, sondern wird an die Hand genommen.

Der Besucher wird von oben nach unten geführt. Oben geht es mit leichten Themen wie Religion oder Brauchtum los. Ein kostbarer Reliquienschrank aus einem katholischen Haushalt, eine Sprachdusche, in der man die dutzenden Dialekte im Sudetenland nachhören kann. Und im Kapitel über Wirtschaft und Handel erinnert die Ausstellung durch Damenstrumpfhosen (Kunert Strümpfe, heute in Immenstadt) daran, dass die Textilindustrie ein Schwerpunkt im Sudetenland war. Blickfang ist hier freilich ein Böhmerland-Motorrad – dreisitzig, aus dem Jahr 1938/39 –, angeblich mit 3,20 Meter einst die längste Maschine der Welt. Manche Themen findet man auch im letzten Museums-Stockwerk – dem über die neue Heimat in Bayern – wieder, denn die Handwerkstraditionen nahmen die Vertriebenen ja mit. Bekanntlich wurde aus der Schmuckstadt Gablonz: Neugablonz.

In den unteren Stockwerken warten die schwierigen Aspekte: Nationalsozialismus, Vertreibung, Mord.

Das Museum ist kein Vertreibungsmuseum. Es ist an keiner Stelle revanchistisch. Das merkt man schon an der Beschriftung, die durchgängig auch in Tschechisch erfolgt. Es trägt hier vielleicht auch die Handschrift von Bernd Posselt, dem Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, der vor Jahren eine weitreichende Satzungsänderung der Landsmannschaft durchgesetzt hat, wodurch nun auch offiziell auf eine Wiedergewinnung der früheren Heimat verzichtet wird. So wird auch die Geschichte ab 1938 – also nach der Okkupation und „Zerschlagung“ der Tschechoslowakei durch Nazi-Deutschland – vielschichtig beleuchtet. Das ist die schwierigste Etappe.

Unstrittig ist, dass viele Sudetendeutsche die Eroberung Hitlers nicht ungern sahen und die Sudetendeutsche Partei unter Konrad Henlein auf einen stramm nationalistischen Kurs einschwenkte. Wie vergiftet das Klima zwischen Tschechen und Deutschen fortan war, davon zeugt auch ein kleines Flugblatt eines auf Rache sinnenden Freikorps aus jener Zeit mit der Aufschrift „Benesch verrecke!“ und der Drohung: „Für jeden ermordeten Sudetendeutschen werden 10 Tschechen erschossen.“ Auch an die Konzentrationslager im damaligen Reichsgau Sudetenland wird erinnert.

Eines der fünf Stockwerke dokumentiert Flucht und Vertreibung, und das sehr plastisch. Gezeigt werden sogenannte Vertreibungskisten – 30 Kilo durfte jeder Sudetendeutsche mitnehmen, bevor er infolge der Benesch-Dekrete fluchtartig Dorf oder Stadt verlassen musste (sofern er nicht interniert wurde). 30 Kilo für ein ganzes Leben.

Das Museum

Hochstraße 8 (S-Bahn Rosenheimer Platz), geöffnet ab 30. Oktober, Eintritt bis Jahresende frei.

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