Eine Liebeserklärung an Bayerns Bergwelt

von Redaktion

VON NICO-MARIUS SCHMITZ

Das Trio erkennt man schon von Weitem. Vorneweg radelt Thomas Rickenmann mit dem E-Bike, gefolgt von Partnerin Rahel von Gunten und Labrador Tilli. Die Hündin scheint den breiten Weg zur Alm sichtlich zu genießen.

Bei Rickenmann, mittlerweile nur noch wenige Metter von der Sölleralpe oberhalb von Oberstdorf entfernt, braucht man nicht lange überlegen, welchen Beruf er wohl ausübt. Ein kurzer Blick genügt. In seinem Fahrradkorb stapeln sich Plakate und Poster seines aktuellen Films. Er heißt: „Im Berg dahuim“. In dem Kinostreifen porträtiert er Menschen, die den Sommer auf der Alpe verbringen. Für Rickenmann sind die Berge nicht nur seine große Leidenschaft, nein, sie sind auch sein Arbeitsplatz.

Rückblende: Der 42-Jährige wächst in Wattwill auf, einer kleinen Schweizer Gemeinde im Kanton Sankt Gallen. Im Dorfkino beginnt seine Filmkarriere. Als Jugendlicher heuert er bei einem Ferienjob als Kinooperateur an. Der damals 15-Jährige spannt Filmrollen ein. „Während dieser Zeit habe ich zwangsläufig viele Filme gesehen. Auch viele Filme, die ich mir sonst eher nicht anschauen würde.“

Seine Beobachtung: Immer wenn Heimatfilme gezeigt werden, platzt der Saal der Dorfkinos aus allen Nähten. Zu diesem Zeitpunkt hat er für die Berge jedoch noch nicht allzu viel übrig. Eher missmutig hat er damals an den Familienausflügen in der voralpinen Region direkt vor der Haustüre teilgenommen.

Rickenmann nippt an seiner Buttermilch und blickt von der Sonnenterrasse ins Tal. Die Sölleralpe liegt auf 1523 Metern oberhalb der Waldgrenze und bietet einen Panoramablick über den Allgäuer Hauptkamm. „Mit 25 Jahren habe ich das Wandern wieder für mich entdeckt“, sagt er. „Ich habe mich in die Berge verliebt und mir gedacht: So einen Heimatfilm würde ich auch mal gerne produzieren.“

Rickenmann, studierter Elektrotechniker, arbeitet noch Vollzeit im Büro, während er seinen ersten Film produziert. In seiner Freizeit filmt er, nachts schneidet er. „Schönheiten des Alpsteins“ erscheint 2008. „Ich hatte die Hoffnung, dass der Film in meinem Dorfkino läuft.“ Es werden 50 Kinos. Und 35 000 Besucher. Der drittmeistbesuchte Schweizer Film in diesem Jahr.

Rickenmann muss sich entscheiden. Will er weiter im Büro hocken oder Filme produzieren? Er entscheidet sich für die abenteuerliche Varian-te, wie er selbst sagt. In jugendlichen Jahren nahm er an Welt- und Europameisterschaften im Berglaufen und Duathlon teil. Die Stoppuhr spielt nun keine Rolle mehr, wenn er in den Bergen ist. Er möchte die Zeit genießen, die weiten Wiesen und kantigen Felsen sind sein Büro. Rickenmann möchte die perfekten Momente einfangen. Die Geschichten, die sich in den Bergen abspielen, durch die Linse seiner Kamera erzählen.

Und die Geschichten erzählt er nicht mehr alleine. Rahel von Gunten weiß noch genau, wie sie ihren Thomas das erste Mal gesehen hat. Im Zug Richtung Zürich saß er am Fenster, vor ihm der Laptop aufgeklappt. Über den Bildschirm liefen Kühe und Schafe, Rickenmann war dabei, einen Film zu schneiden. So kommt Rahel mit Thomas ins Gespräch, schließlich hat sie eine Verbindung zur Natur, war früher Bäuerin: „Am Ende des Tages sieht man, was man geschafft hat. Das gefällt mir.“

„Im Berg dahuim“ ist bereits der achte Film. Eine Hoteliers-Frau hatte Rickenmann angeschrieben, wann „Alpzyt“ (2016) denn mal in Oberstdorf erscheinen würde. Der Film über Schweizer Bergbauern kam dort so gut an, dass er heute immer noch im Kurort läuft. „Durch diesen Film haben wir viel Zeit in Oberstdorf verbracht und die Menschen kennengelernt. Wir haben uns in die Schönheit der Gegend verliebt und wussten: Hier wollen wir auch einmal was auf die Beine stellen“, sagt Rickenmann. Oberalpmeister Franz Kögel, der Mann der Hoteliers-Frau, nutzte seine Kontakte in der Alp- und Hirtenszene und stellte dem Paar verschiedene Protagonisten vor. „Der Film ,Alpzyt‘ war der Türoffner, die Alpfamilien kannten ihn schon und hatten dadurch direkt Vertrauen in unsere Arbeit“, erzählt von Gunten.

Vor vier Jahren begannen die Dreharbeiten. Über vier Sommer lang begleiteten die Schweizer die bayerischen Hirten am Taufersberg und die Familien der Kemptner Hütte, Sennalpe Oberau sowie Sennalpe Sölleralpe. Besonders die harte Arbeit der Hirten, die im steilen Großraumgebirge über 240 Tiere behüten, hat Eindruck hinterlassen. „Wir sind mit der Kamera oft gar nicht hinterher- gekommen“, erzählt Rickenmann.

Von Gunten muss grinsen. Ein blonder Junge, der an Michel aus Lönneberga erinnert, kommt angelaufen. „Habt ihr das Kino wieder dabei?“, fragt er. Der kleine Junge heißt Emil und ist der Sohn von Max und Kristina Boxler, die die Sennalpe Sölleralpe bewirten. Im Juni war Rickenmann zuletzt hier gewesen und hatte der Almfamilie auf seinem Laptop – dem Kino – schon mal Sequenzen aus dem Film gezeigt.

Rickenmann lehnt sich entspannt zurück, mittlerweile stehen ein Milchkaffee und ein Käsesalat vor ihm. Drei bis vier Tage hat er pro Sommer hier zum Drehen verbracht und auch auf der Alm geschlafen. Auf der Sölleralpe beginnen die Tage um vier und enden um 23 Uhr: „Unsere Strategie ist es, möglichst viel Material zu sammeln, damit wir nichts inszenieren müssen“, sagt von Gunten. Wenn sie mit der Kamera den Alltag der Familien begleiten, sehen sie sich als stille Beobachter.

Und wie passt ein Kamerateam in den anstrengenden Alltag zwischen Kühe melken, Käse herstellen und Gäste bewirten? Kristina Boxler hat schon mal schlechte Erfahrungen mit einem Fernsehteam gemacht. „Wir sind eben keine Schauspieler, wir leben das. Wir können der Kuh schlecht sagen, dass sie den Weg für die Kamera noch mal gehen muss“, sagt die 31-Jährige. Dieses Mal sei es anders gewesen: „Wir haben es einfach nicht gemerkt, dass sie dabei waren.“

Für von Gunten und Rickenmann ist es bei Projekten wichtig, erst mal Vertrauen zu den Protagonisten aufzubauen. Erst dann kann die Kamera kommen.

Der Film läuft nun seit dem 8. Oktober auch in deutschen Kinos – unter anderem in München, Hausham, Bad Tölz, Rosenheim und Garmisch-Partenkirchen –, die Vorpremieren und der Start waren ein voller Erfolg. In Sonthofen seien etwa 900 Tickets reserviert wurden. Das habe er selbst noch nicht erlebt, erzählt Rickenmann: „Der Kinobetreiber hat mir gesagt, so einen Ansturm hat nicht mal James Bond ausgelöst.“

Über 100 Stunden Filmmaterial sind während der Dreharbeiten entstanden. „Nur so findet man die Perlen“, sagt von Gunten. Eine Perle des Films, da sind sich die Schweizer Filmemacher und Boxler einig, ist sicherlich der dreijährige Emil, der gerade stolz sein Cola-Eis präsentiert. Das hat er sich allerdings auch verdient, schließlich habe ihn erst gestern ein Huhn in die Hand gepickt, wie er erzählt.

Für Rickenmann und von Gunten war „Im Berg dahuim“ von Anfang an ein Herzensprojekt. Sponsoren, die für den Film Werbung machen, fanden sich schnell. Wirklich Geld floss aber erst, als das Schweizer National-Fernsehen als Co-Produzent einstieg, das Budget lag bei 400 000 Euro.

Es war dem Paar wichtig, in die verschiedenen Welten einzutauchen. In die Welt der Sölleralpe etwa, hier werden von Juni bis September täglich 350 Liter Milch in traditioneller Handarbeit verarbeitet. Rickenmann bestellt sich noch einen Käsekuchen. Von Gunten grinst. „Wir werden hier immer so verwöhnt“, sagt die 37-Jährige, „hier sind Freundschaften entstanden, die weit über den Film hinausgehen.“

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