Wäre ein Biden-Sieg das Ende der Eiszeit?

von Redaktion

VON CAN MEREY UND MICHAEL FISCHER

Washington/Berlin – Die Reisen von US-Präsident Donald Trump sind ein Indikator dafür, wie es um das deutsch-amerikanische Verhältnis bestellt ist. Der Republikaner war zwar beim G-20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg, und Ende 2018 führte ihn ein Tankstopp auf die US-Basis in Ramstein. Mit der Tradition eines bilateralen Besuchs in Deutschland in der ersten Amtszeit hat Trump aber gebrochen – als erster US-Präsident seit mehr als 50 Jahren. Viele Hoffnungen in Deutschland richten sich nun auf einen Sieg von Joe Biden.

„Der Tag, an dem Joe Biden zum Sieger erklärt wird, wird der Tag sein, an dem die Beziehungen beginnen werden, sich zu verbessern“, sagt der demokratische Ex-Kongressabgeordnete Michael Capuano. „Das bedeutet nicht, dass wir alle nur Händchen halten und uns lieben werden. Aber das heißt, dass wir zu normalen Standards von Debatten und Diskussionen und auch Auseinandersetzungen unter Freunden zurückkehren werden.“ Unter Trump war das mit der Freundschaft nicht so klar. „Er hat anscheinend eine besondere Aversion gegen die Bundeskanzlerin, aber wohl auch gegen Deutschland“, sagt Constanze Stelzenmüller von der Denkfabrik Brookings Institution in Washington. „Worin das wurzelt, weiß vermutlich auch er selbst nicht.“ Im Biden-Lager sei man sich bewusst, „dass Amerikas Position in der Welt schwächer geworden ist – wegen Trump, aber nicht nur wegen Trump.“

Dieser setzt auf „America First“. Der versierte Außenpolitiker Biden bekennt sich dagegen zur multilateralen Zusammenarbeit. Biden verspricht unter anderem, den Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und aus der Weltgesundheitsorganisation WHO zu revidieren. Während Trump mit einem Ausstieg aus der Nato drohte, will Biden das Bündnis stärken. Und doch bleiben Konflikte:

Nord Stream 2: Trump argumentiert, Deutschland lasse sich von den USA beschützen, zahle aber gleichzeitig Russland „Abermilliarden Dollar“ für Gas. Die Kritik an der Ostsee-Pipeline von Russland nach Deutschland ist allerdings parteiübergreifend. Im Kongress haben sowohl Republikaner als auch Demokraten Sanktionen unterstützt, um das Projekt zu stoppen. Noch als US-Vizepräsident nannte Biden die Pipeline „einen fundamental schlechten Deal für Europa“.

Verteidigung: Trump nennt Deutschland „säumig“, weil es das Zwei-Prozent-Ziel der Nato nicht erfüllt. Dieses Ziel sieht vor, dass sich alle Bündnispartner bis 2024 daran annähern, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Biden verweist darauf, dass sich auch die Obama-Regierung bereits dafür eingesetzt hat, dass Nato-Staaten ihre Verteidigungsausgaben erhöhen. „Unsere Verbündeten sollten ihren gerechten Anteil tun.“

US-Truppen: Im Streit um die Verteidigungsausgaben hat Trump den Abzug von rund einem Drittel der in Deutschland stationierten US-Soldaten angekündigt. Ein Biden-Sprecher nannte das „ein Geschenk für Wladimir Putin“ und kündigte an, Biden werde die Entscheidung „überprüfen“. Experten bezweifeln, dass sie ganz rückgängig gemacht wird.

Handel: Trump hat einen Handelskonflikt mit der EU vom Zaun gebrochen und wiederholt mit Strafzöllen auf Autoimporte gedroht, die besonders deutsche Hersteller treffen würden. Biden-Berater Tony Blinken hat angekündigt, den „künstlichen Handelskrieg“ zu beenden. Er bemängelte aber auch, es gebe „ein wachsendes Ungleichgewicht im Handel mit Agrargütern aufgrund von Regeln, die uns daran hindern, Waren zu verkaufen, bei denen wir sehr wettbewerbsfähig sind“.

In Berlin macht man sich keine Illusionen, dass im deutsch-amerikanischen Verhältnis bei einem Sieg Bidens alles gut werden könnte. Der Koordinator der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen, Peter Beyer (CDU), betont, dass auch die Präsidentschaft von Barack Obama keine einfache für Berlin war. „Ich warne vor rosaroten Brillen der transatlantischen Nostalgie.“

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