Neue Therapien im Kampf gegen Krebs

von Redaktion

München – Bei Joseph Okawa (Name geändert) von einem medizinischen Wunder zu sprechen, ist nur leicht übertrieben. Vor fast fünf Jahren, mit 39, erhält Okawa eine Diagnose, die sonst meist Ältere trifft: Ärzte finden einen bösartigen Tumor in der Bauchspeicheldrüse. Dazu kommen zwei Metastasen in der Leber. Eine OP? Nicht möglich und nicht sinnvoll. „Im Schnitt überleben nur etwa sechs Prozent der Patienten mit einer solchen Diagnose die ersten zwölf Monate“, sagt Professor Hana Algül. „Und die sind mit einer harten Chemotherapie erkauft.“

Algül ist Tumorexperte am Klinikum rechts der Isar und Direktor des gemeinsamen Krebszentrums der beiden Münchner Unikliniken. Okawa ist einer seiner Patienten. Ein Ausnahmepatient. „Solche Erfolge erlebt man nicht jeden Tag. Sie sind gerade beim Pankreaskarzinom sehr ermutigend“, sagt Algül. „Er ist bis heute tumorfrei.“

Zu verdanken hat Okawa das zunächst der Chemotherapie, die am Anfang seiner Behandlung stand. Zwölf Zyklen. Schon nach dem zweiten kommt er nur noch mit Mühe die Treppe hoch. Und psychisch fällt er ins Bodenlose: Im Internet liest er von Patienten, die es nicht geschafft haben; von Prominenten wie Steve Jobs und Patrick Swayze. „Ich dachte, das ist das Ende.“ Er hadert mit seinem Schicksal: „Warum ich, warum so früh, wo ich noch nicht mal eine Familie gründen konnte? Das soll es jetzt gewesen sein?“

Dabei hatte er erst gedacht, der Tumor ließe sich wie ein kaputtes Teil im Auto rausoperieren. Er, der als Jugendlicher aus dem afrikanischen Ruanda nach Deutschland gekommen war und Mechaniker gelernt hatte. Jetzt hofft er auf die moderne Medizin – und wird belohnt.

Die Chemo schwächt seinen Körper. Sie verkleinert aber auch Tumor und Metastasen. Doch Krebs ist tückisch. Wenige Tumorzellen reichen, schon kehrt er zurück. Noch während der Chemo bieten die Ärzte Okawa einen Gentest an. Da der Patient so jung ist, liegt eine vererbte Genmutation als Krebsursache nahe. Und tatsächlich: Sie finden eine Veränderung im BRCA-Gen. Genau das Gen, das bei Frauen an der erblichen Variante des Brustkrebs schuld ist. Ist es defekt, fällt eine Art „Mechaniker“ in den Zellen aus, der Erbgut-Schäden repariert. Das macht Krebs wahrscheinlicher.

Erkrankten Frauen hilft dann der Wirkstoff „Olaparib“. Er nimmt verbliebenen Krebszellen die Chance, auf einen anderen Erbgut-Mechaniker auszuweichen und zu überleben. Dieses Mittel soll nun auch Okawa helfen.

Keiner weiß, ob das klappt. Okawa entscheidet sich trotzdem dafür. „Ich wollte leben, ich hatte eigentlich keine Wahl“, sagt der 43-Jährige. Er lässt sich die Risiken genau erklären, ehe er die Teilnahme an der Studie zusagt. Dazu rät er auch anderen Patienten. Doch auch Vertrauen zu den Ärzten sei wichtig. Er hätte sich damals auch für eine der obskuren Therapien entscheiden können, die er im Internet entdeckt hatte. „Ich habe nur darüber gelacht“, sagt er heute. „Kräuter heilen doch keinen Krebs.“

Als geheilt gilt er heute zwar nicht; er muss täglich Tabletten nehmen. Anfangs litt er unter einer Blutarmut. Das ist aber vorbei – und seine Therapie seit Juni offiziell zugelassen. Jahre also, nachdem sie bei Okawa bereits eingesetzt wurde. Er arbeitet wieder als Mechaniker. Bald will er mit seiner Freundin sogar eine Familie gründen „und meiner Mutter ein Enkelkind schenken“.

ANDREA EPPNER

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