München – Der kleine Leon (Name geändert) sucht ein Zuhause. Er ist erst ein halbes Jahr alt, seine Mutter hat während der Schwangerschaft getrunken. Deswegen leidet der Bub unter einem fetalen Alkoholsyndrom. Wenige Tage nach seiner Geburt wurde er aus seiner Familie genommen. Seitdem lebt er in der Kurzpflegestelle des Augsburger Jugendamtes, die eigentlich nur eine Übergangslösung ist.
Bei der Suche nach Pflegefamilien stehen Jugendämter vor vielen Schwierigkeiten. Es gibt Bereitschafts- und Kurzpflegefamilien, die in akuten Notfällen oder befristet Kinder aufnehmen. Und es gibt die Vollzeitpflege, die auf Dauer angelegt ist. Wichtig ist: Ein Kind in Pflege zu nehmen, ist nicht dasselbe wie eine Adoption. Denn wenn die leiblichen Eltern wieder in der Lage sind, das Kind zu betreuen, kann es zu ihnen zurückkommen.
So wie Jonas, der mit drei Monaten vom Augsburger Jugendamt in Obhut genommen wird. Seine Eltern sind psychisch krank, oft kommt es zu Gewalt. Eine Bereitschaftspflegefamilie nimmt das Baby auf. Doch die leibliche Mutter will ihren Sohn wiederhaben. Ein Psychologe begutachtet sie. Neun Monate später empfiehlt er, den Bub zu seinen leiblichen Eltern zurückzubringen – mit Familienhilfe. Doch die Mutter ist wieder überfordert. Erneut kommt Jonas in die Bereitschaftspflegefamilie. Einige Monate später wechselt er mit seiner Mutter in eine Mutter-Kind-Einrichtung. Auch das scheitert. Heute ist Jonas in einer Pflegefamilie.
In Augsburg leben etwa 100 Kinder in Pflegefamilien, rund 80 hat das Jugendamt in umliegende Landkreise vermittelt. „Es werden in allen Bereichen dringend Pflegeeltern und -familien gebraucht“, sagt Christian Gerlinger vom Amt für Kinder, Jugend und Familie. „Der Bedarf kann momentan nicht gedeckt werden.“ Geschwister müssten oft getrennt werden, weil wenige Familien mehrere Kinder aufnehmen würden. Besonders schwierig sei, Familien für Kinder ab vier Jahren oder mit erhöhtem Betreuungsbedarf zu finden.
Auch für Kinder mit geistigen oder körperlichen Behinderungen werden Pflegefamilien gesucht. Der Bezirk Oberbayern ist für rund 90 solcher Pflegekinder zuständig. „Die Unterstützung in einer Pflegefamilie ist langfristig ausgerichtet“, erklärt Sprecherin Constanze Mauermayer. „Sie endet in der Regel mit Beendigung der Schullaufbahn.“ Immer wieder käme es vor, dass es für ein Kind besser wäre, in einer Pflegefamilie statt in einer stationären Einrichtung zu leben – aber es gerade keine gibt. Geduld, Liebe, Einfühlsamkeit – das brauchen alle Pflegefamilien. „Kinder mit Behinderung benötigen meist zusätzliche individuelle Förderung und Unterstützung“, sagt Mauermayer. Therapien und Arzttermine brauchen Zeit. Je nach Behinderung könnten auch bestimmte Vorkenntnisse hilfreich sein. „Sie bilden jedoch keine Voraussetzung“, betont Mauermayer.
Auch in Würzburg fehlen Pflegefamilien vor allem für Kinder mit kognitiven Einschränkungen, mit Behinderungen, für über Sechsjährige und für Kinder mit hochproblematischen Eltern. „Wir würden uns mehr Bereitschaftspflegefamilien wünschen, die wir bei akuten familiären Krisen und Herausnahmen kurzfristig belegen können“, sagt Stadtsprecher Christian Weiß. Eine wachsende Rolle spiele in Würzburg die Verwandtenpflege – Kinder kommen bei anderen Verwandten unter. Ein Konzept, auf das zum Beispiel auch München setzt, wo rund 600 Kinder in Pflegefamilien leben.
Paare, die Pflegekinder bei sich aufnehmen würden, werden nach einem standardisierten Verfahren geprüft, ob sie der Aufgabe gewachsen sind. Die Ämter bieten Pflegeeltern Schulungen und sozialpädagogische Betreuung. Auch eine finanzielle Entschädigung gibt es, wenn Familien Kindern wie Leon oder Jonas ein neues Zuhause bieten.
Interessierte
können sich an die örtlichen Jugendämter wenden. Weitere Infos gibt es auch beim Bezirk Oberbayern unter 089/219 82 22 00.