Egling – Über eine breite hölzerne Rinne rauscht das Wasser vom Hügel hinter dem Hof hinab, klatscht auf das moosbewachsene Mühlrad und hält es in Bewegung. Die Angermühle in Egling im oberbayerischen Landkreis Wolfratshausen ist ein seltener Anblick. Denn sie ist eine der letzten Mühlen in Bayern, die mit einem Wasserrad betrieben wird. Die meisten Mühlen haben heute eine Turbine. Auch das Müllerhandwerk geht mit der Zeit.
Das Eglinger Mühlrad steht unter Denkmalschutz. Heute läuft es nur, weil Besuch da ist. Franz Schölderle ist Herr der Angermühle. Und gelernter Müller. Stolz zeigt er, wie seine Mühle funktioniert. Die Wasserkraft treibt alles an. Zahnräder rattern, Riemen schlackern, Walzen malmen, Zahnräder halten den Walzenstuhl in Schwung, der das Getreide mahlt. Von dort fällt das geschrotete Korn in den Plansichter, wo das Schrot getrennt wird, in Mehl und Grieß zum Beispiel. So wäre es eigentlich. Denn die Angermühle steht meist still. Kein Getreide, kein Schrot, kein Mehl.
Das Gesundheitsamt hat dem Müller das Wasser abgedreht. Das Problem sind die Motten, die sich im alten hölzernen Dachstuhl tummeln. Sie fernzuhalten, ist nicht möglich. „Da bleibt was hängen, da ist schon was dran“, sagt Schölderle und lacht leise. Seit fünf Jahren darf der Müller nicht mehr mahlen, trotzdem sitzt jeder Handgriff. „Das weiß ich schon noch alles. Wie und was zusammenhängt“, erklärt er. Schölderle drückt Hebel und Knöpfe, wirft einen prüfenden Blick auf die Zahnräder. Ein Rad ist ausgefallen. „Das macht aber nichts.“
Seit über 500 Jahren steht die Angermühle in Egling. Ende des 15. Jahrhunderts wird die Mühle das erste Mal erwähnt. Damals verkaufen die Herzoge Ernst und Wilhelm von Bayern die Angermühle für 500 Gulden. Im Laufe der Jahrhunderte wechseln die Besitzer häufig, bis die Mühle von der Gemeinde Neufahrn erworben wird.
Mitte der 1930er-Jahre kauft Vater Max Schölderle, Müller und Landwirt, die Angermühle. Sohn Franz muss schon als kleiner Bub mithelfen. „Wenn die anderen Fußball spielen gegangen sind, durfte ich nicht mit“, erzählt er. „Es gab Tage, da war man bloß noch in der Mühle.“ Ihn hat es aber rausgetrieben aus dem dusteren Haus, raus zu den Kühen auf dem Hof. „Zu den Viechern“, wie er sagt.
Trotzdem ist er geblieben und hat die Ausbildung zum Müller gemacht. Beim Vater. Heute ist er 73, die Mühle war immer da in seinem Leben, wenn auch mit Unterbrechungen. Ein paar Jahre schafft Schölderle bei einem Landwirtschaftskonzern, dann bei der Post. In Grünwald. „Bei den Reichen“, sagt er. Die Arbeit bei der Post, die hat ihm gelegen. „Postler war mir lieber. Da hab’ ich mich nicht den ganzen Tag in die Mühle reinstellen müssen.“
Doch dann kommt die Frührente und Schölderle beschließt, die Angermühle wieder anzuschmeißen. Auf dem Hof betreibt er seit 1990 mit seiner Frau einen kleinen Mühlladen, verkauft Mehl und selbst gebackenes Brot. Den Laden betreibt er noch, obwohl das alte Mühlrad still steht – das Mehl kommt von einer anderen Mühle.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wimmelte es in Bayern von Mühlen. 4440 gemeldete Mühlen habe es gegeben, schreibt der Experte Andreas Ehrhardt in dem kürzlich erschienenen Bildband „Alte Mühlen in Bayern“ (siehe Interview). Im Krieg war Mehl eines der wichtigsten Grundprodukte für die Versorgung. Nach dem Krieg brauchte man nicht mehr so viele Mühlen. Die Überkapazitäten seien durch staatliche Stilllegungen kleinerer Betriebe gegen Abfindungen abgebaut worden, so Ehrhardt. Auch das Wasserrad verlor an Bedeutung. Turbinen übernahmen die Arbeit in den größer werdenden Betrieben.
Die Zahl bayerischer Mühlen sank kontinuierlich. 1957 waren es noch 3640, 1974 nur noch 1196. Heute gibt es keine Meldepflicht mehr für Betriebe, die weniger als 1000 Tonnen Getreide vermahlen. 2019 hatte das Bundesministerium für Landwirtschaft nur noch 52 bayerische Mühlen auf seiner Liste, „obwohl es im Gegensatz zu anderen Bundesländern in Bayern noch viele Familienbetriebe gibt“, wie Ehrhardt erklärt. Aber sie erreichen die Meldegrenze nicht und führen deshalb ein Leben abseits der Statistiken.
Immer noch kann man in Deutschland den Beruf des Müllers erlernen. Verfahrenstechnologe in der Mühlen- und Getreidewirtschaft heißt das heute. Sogar zum Müllermeister kann man sich noch weiterbilden. Auch Ehrhardt ist ein Müllermeister. Er arbeitet für einen internationalen Hersteller von Backzutaten und Malzen. In seiner Freizeit ist er Mühlen-Historiker und Vorstand des bayerischen Landesverbands für Mühlenkunde und Mühlenerhaltung. Für das Buch tat er sich mit dem bekannten österreichischen Fotografen Gerhard Trumler zusammen. So entstand ein über 200 Seiten dicker Bildband (Fotos rechts), ergänzt durch Texte zur Geschichte der Mühlen.
Es gibt auch Ölmühlen, Schrotmühlen, Papiermühlen oder Sägemühlen. Aber wenn man ein Wasserrad sieht, denkt man doch eher an Brot. In Bayern gibt es noch kleinere Mühlen, die teilweise auch noch Mehl produzieren. Weil viele kein Wasserrad mehr besitzen, sind sie von außen oft schwer zu erkennen. Ehrhardts Bildband enthält am Ende eine umfangreiche Aufstellung bayerischer Mühlen. Auch die Angermühle von Franz Schölderle ist aufgelistet.
Lust auf die Müllerei hätte Schölderle durchaus noch. „Es ist schon schade“, sagt der 73-Jährige. „Manchmal habe ich noch gemahlen, da hat sich dann alles gerührt und bewegt.“ Mit einem Knopfdruck schaltet Schölderle die Maschinerie in der Mühle wieder ab. Es klingt, als würde eine Waschmaschine den Schleudergang beenden. Dann ist es wieder still in der Angermühle in Egling.