Puchheim – Das Telefon klingelt ununterbrochen, die Mitarbeiter kommen kaum hinterher, um auf die Anrufe zu antworten. Dazu müssen sie Hygienekonzepte umsetzen und aufgeregte Patienten beruhigen. Es herrscht Hochbetrieb in den Arztpraxen. Ärzte und medizinische Fachangestellte sind gleichermaßen im Corona-Stress, berichtet Cornelia Willem, die in einer hausärztlichen und internistischen Gemeinschaftspraxis in Puchheim (Landkreis Fürstenfeldbruck) arbeitet. „Dem gesamten Berufsstand geht die Luft aus“, sagt die 52-jährige medizinische Fachangestellte. Was sie besonders stört: „Die mangelnde Anerkennung für uns ist wie ein Schlag ins Gesicht.“
Sie und ihre Praxiskollegen stehen im Kampf gegen das Virus an vorderster Front – immer dem Risiko ausgesetzt, sich selbst zu infizieren. Um Ansteckungen in der Praxis zu verhindern, gibt es viele Vorsichtsmaßnahmen. „Wir haben einen extra Raum für die Infektsprechstunde“, erklärt Willem. Ungefähr zehn bis 15 Corona-Tests werden dort derzeit täglich gemacht. „Nach jedem Patienten müssen wir alles desinfizieren“, sagt sie. Doch auch für alle Patienten ohne Corona-Verdacht oder Erkältungssymptome gelten Hygienevorschriften. Bevor sie die Praxis betreten, werden sie von einer Mitarbeiterin befragt und auf die Regeln hingewiesen. Außerdem gilt eine Maskenpflicht. Die Mehrheit der Patienten hält sich daran, betont Willem. Doch: „Manche Leute verstehen nicht, warum sie zum Beispiel die Hände desinfizieren und die Mund-Nasen-Bedeckung richtig tragen müssen.“ Auch vor der Tür käme es immer wieder zu Konflikten, die das Personal schlichten muss.
Andere Patienten wiederum seien verärgert, weil es derzeit keine Grippe-Impfungen mehr gibt. Die Praxis habe zwar Anfang des Jahres ausreichend Impfstoff bestellt. „Bis jetzt wurde aber erst ein minimaler Teil geliefert“, sagt Willem. Weil rund 80 Prozent der Patienten aufgrund einer chronischen Krankheit oder ihres Alters zur Risikogruppe gehören, sei die Nachfrage groß. „Wir kriegen jeden Tag sicher 50 Anrufe, wann der Impfstoff wieder da ist“, berichtet Willem. Die Praxis hofft, dass im November wieder eine Lieferung kommt. „Die Apotheken tun ihr Möglichstes und auch im November und Dezember kann man sich noch impfen lassen“, betont sie.
Willem und ihre Kollegen können weder etwas dafür, dass die Corona-Regeln notwendig sind, noch dass es gerade keinen Impfstoff gibt: „Aber trotzdem bekommen wir jeden Tag Beschwerden deshalb“, sagt die 52-Jährige. „Manche Leute sind sogar beleidigend, aggressiv und ungehalten.“ Die Nerven lägen momentan bei vielen Patienten blank. „Viele sind auch einfach verzweifelt und machen sich Sorgen“, berichtet Willem. Umgekehrt sei die Situation aber auch für das Praxispersonal eine „enorme psychische Belastung“.
Dazu käme die zusätzliche Arbeitsbelastung, zum Beispiel durch die Organisation der Corona-Tests. „Die Abrechnung variiert teilweise wöchentlich und ist unübersichtlich“, berichtet sie. Um die Versorgung der Patienten sicherzustellen, hätten Ärzte und medizinische Fachangestellte außerdem zum Teil freiwillig weitere Öffnungszeiten angeboten. Noch weiter erhöhe sich der Stress, wenn beispielsweise Mitarbeiter in Quarantäne müssen. „Und das alles für das geringe Gehalt, das man als medizinische Fachangestellte bekommt“, sagt Cornelia Willem.
Ihr ist wichtig, eines klar zu stellen: „Wir beschweren uns nicht über die Arbeit und unsere Patienten“, betont sie. „Wir verstehen auch jeden Patienten, der Angst hat.“ Anderen zu helfen sei die große Motivation der Mitarbeiter in den Praxen. Was sie aber stört: „Wir werden in der Corona-Pandemie vergessen.“ Einen Corona-Bonus habe es zum Beispiel für die Praxisangestellten nicht gegeben. Willem würde sich mehr Wertschätzung und auch einmal ein Danke wünschen. „Aber gerade fühlen wir uns wie der Prellbock der Nation. Das geht an die Substanz.“