Lehrerin ohne Lehramtsstudium

von Redaktion

VON FRANZISKA FLORIAN

Holzkirchen/Fürstenfeldbruck – „Griaß di“, sagen die Schüler. „Griaß di“, wiederholt Martina Wiesenmüller in nicht ganz perfektem Dialekt. In dieser Unterrichtsstunde ist es einmal anders rum: Die Schüler bringen ihrer Lehrerin etwas bei. Und zwar Bairisch. Die Siebtklässler haben gerade eine Englisch-Schulaufgabe hinter sich, aber noch 15 Minuten Zeit. Und weil die Jugendlichen in den vergangenen Wochen immer fleißig mitgearbeitet haben, will Wiesenmüller sie belohnen. „Die Schüler haben immer gesagt, dass ich kein Bairisch kann, obwohl ich von hier bin“, erzählt sie. Nachdem die Lehrerin versucht hat, „Griaß di“ richtig auszusprechen, sind sich die Klassenkameraden lachend einig: „Frau Wiesenmüller, bleiben Sie lieber beim Hochdeutsch.“ Es wird gelacht – aber der Umgang zwischen Lehrern und Schülern ist respektvoll.

Martina Wiesenmüller ist seit 7. September an der Oberland-Realschule in Holzkirchen (Kreis Miesbach). Sie ist eine sogenannte Teamlehrkraft. Wiesenmüller vertritt dabei drei Lehrer, die zur Risikogruppe gehören und deshalb nicht unterrichten können. Sie sind zwar dienstfähig, aber zu Hause und halten Kontakt mit ihr.

Ein Lehramtsstudium hat sie nicht. Die 39-Jährige hat ihren Bachelor in Kunstgeschichte gemacht. Durch Corona war der Lehrermangel noch größer als sonst. Deshalb hat das Kultusministerium den Beruf Teamlehrkraft neu eingeführt. In Bayern gibt es insgesamt rund 800 Teamlehrkräfte – ein oder zwei an fast jeder Schule.

Ihr Kunstgeschichte-Bachelor bringt ihr für den Unterricht sehr viel, betont Wiesenmüller. „Ich habe für das Studium das große Latinum gebraucht, das hilft mir in Deutsch. Und in Kunst bringt mir das Studium sowieso was.“ Sie unterrichtet eine sechste Klasse in Deutsch, mehrere fünfte, sechste und siebte Klassen in Kunst und eine siebte Klasse in Englisch. „Ich habe das Abitur in England auf einem Internat gemacht“, erzählt sie. Deshalb hat sie im Englischunterricht keine Probleme. Vor allem, weil sie schon immer sehr sprachaffin war. Sie spricht fließend Französisch und Italienisch. Auch Grundkenntnisse in Arabisch hat sie. Nur mit dem Bairisch hakt es eben noch ein bisschen.

Wie lange Wiesenmüller an der Oberland-Realschule bleiben kann, weiß sie noch nicht. Sobald alle Lehrer wieder kommen können, ist ihr Vertrag beendet. Oder spätestens Ende Juli 2021. „Mir war von Anfang an klar, was auf mich zukommt“, sagt sie. In den ersten zwei Wochen hat sie Bücherstapel von der Schule nach Hause und wieder zurück geschleppt. „Ich habe mich vor Schulbeginn schon in den Stoff eingelesen.“

Von der Möglichkeit, sich als Teamlehrkraft zu melden, hat die 39-Jährige durch das Radio erfahren. „Ich war gerade auf dem Weg zum Einkaufen. Auf dem Parkplatz habe ich mich sofort auf der Seite des Kultusministeriums beworben“, erinnert sie sich. Sie konnte als Wunsch-Ort Holzkirchen eingeben. Nur eine Woche später kam der Anruf der Oberland-Realschule, tags drauf war das Vorstellungsgespräch. „Noch am selben Tag hat man mir die auf ein Jahr befristete Anstellung angeboten“, erzählt sie. Ohne zu zögern, hat sie zugesagt.

Bei Teamlehrkraft Barbara Schleich (Name geändert) war es etwas anders: „Ich habe durch den Elternbeirat an der Schule meiner Tochter davon erfahren“, sagt sie. Seit September ist sie Teamlehrkraft an einer Schule in Fürstenfeldbruck. Welche genau, möchte sie nicht sagen. Denn weder die Schüler noch die Eltern wissen, dass sie kein Lehramtsstudium hat – sondern einen Magister in Germanistik und Romanistik. Und sie sollen es auch nicht erfahren. Denn die Schulleitung befürchtet, dass die Eltern sich beschweren. Nur die anderen Kollegen sind eingeweiht. „Ich habe das Kollegium und die Schulleitung voll hinter mir“, erzählt die 48-Jährige. Und der Schulleiter würde die Reißleine ziehen, sobald er merken würde, dass eine der Teamlehrkräfte nicht für den Beruf geeignet ist.

Doch Schleich wurde sogar so viel Vertrauen entgegengebracht, dass sie von einer Teamlehrkraft zur Vertretungskraft aufgestiegen ist. „Die Lehrerin, die ich vertrete, darf schwangerschaftsbedingt nicht mehr arbeiten.“ Der Unterschied: Schleich darf die Schul- und Stegreifaufgaben allein korrigieren und benoten. „Es gibt aber immer einen Zweitkorrektor aus der jeweiligen Fachschaft“, sagt Schleich. Und es gibt noch eine Einschränkung: Sie unterrichtet keine fünften und zehnten Klassen. Denn eine Zehnte heißt, die Klasse zum Abschluss zu bringen und für die Fünfklässler ist alles noch ganz neu an der weiterführenden Schule. „Da wäre mir die Verantwortung zu groß“, sagt sie.

Die Arbeit als Teamlehrkraft ist sehr zeitintensiv. Wiesenmüller übernimmt 24 Unterrichtsstunden wöchentlich – fast Vollzeit. Auch die Vor- und Nachbereitungen des Unterrichts, die circa vier Stunden dauern, macht sie selbstständig. „Ich spreche mich aber circa einmal pro Woche mit dem Fachlehrer, den ich vertrete, ab.“ Auch die anderen Kollegen unterstützen Wiesenmüller nach Kräften. „Ich werde super an die Hand genommen.“

Schleich und Wiesenmüller würden gerne weiter als Lehrerinnen arbeiten. „Wenn man das macht, macht man es mit Begeisterung“, sagt Schleich. Auch Wiesenmüller brennt für ihre neue Aufgabe. „Ich freue mich jeden Tag auf die Klassen. Sogar am Wochenende freue ich mich schon auf Montag“, erzählt sie. Und beide Frauen haben das schöne Gefühl, dass sie eine Entlastung für die anderen Lehrer an den Schulen sind.

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