INTERVIEW MIT LMU-VIZEPRÄSIDENT OLIVER JAHRAUS
Prof. Dr. Oliver Jahraus ist Vizepräsident der Ludwig-Maximilians-Universität für den Bereich Studium und hat den Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur und Medien unter seinen Fittichen. Ein Gespräch über das etwas andere Gefühl des Studierens seit Corona.
Herr Jahraus, was wird in diesem Semester anders sein?
Angesichts der aktuellen Corona-Entwicklungen müssen wir von einem digitalen Semester ausgehen, wie im vergangenen Sommersemester. Das heißt zum Beispiel: Vorlesungen werden aufgezeichnet und den Studierenden online zur Verfügung gestellt, Seminare finden über Videokonferenz statt, Studierende und Dozierende tauschen sich online auf Lernplattformen wie Moodle aus. Die meisten kennen das schon, bis auf eine Ausnahme: die Erstsemester. Um sie müssen wir uns besonders kümmern.
Wer jetzt mit dem Studium startet, wird die Uni also nicht von innen zu Gesicht bekommen?
Vor einigen Wochen hätte ich noch gesagt: Wir haben immerhin die Möglichkeit für wenige Präsenzveranstaltungen, und die nutzen wir in erster Linie für unsere Erstsemester. Theoretisch wären ja Vorlesungen mit bis zu 200 Teilnehmern erlaubt, wenn der Abstand eingehalten werden kann. Aber wenn wir uns die jetzige Corona-Situation vergegenwärtigen, dann ist diese Zahl nicht mehr realistisch. 200 Menschen zusammenzubringen, ist heute nicht mehr zu verantworten.
Was heißt das für die Erstsemester?
Wir dürfen die Erstemester nicht alleine lassen, das ist uns bewusst. Immerhin sprechen wir von knapp 8000 Menschen, die in diesem Semester ihr Studium beginnen. Die einzelnen Fakultäten haben sich einiges dazu einfallen lassen. Die BWL- und VWL-Fakultäten haben zum Beispiel eine App entwickelt: Damit können sich die Studierenden virtuell durch die Universitätsräume und die Innenstadt Münchens bewegen.
Ist das noch mit einem normalen Semester vergleichbar?
Das kommt drauf an. Wenn es nur darum geht, das Studium zu absolvieren, dann ja. Das schafft man in diesem Semester genauso wie in anderen auch, und das war unser Ziel. Wenn man sich aber fragt, was ein Studium eigentlich ausmacht – der Kontakt mit Kommilitonen, das Streitgespräch in einem Seminar, der Bibliotheksbesuch, das gemeinsame Studieren an sich – dann geht in diesem Semester sicherlich etwas verloren. Für mich gilt ganz klar: Das darf nicht dauerhaft so bleiben. Das ist nicht die Idee, die wir von einer Universität haben. Was wir aber auch sagen können: Wir werden nie wieder zu einem Zustand zurückkehren wie vor Corona.
Warum nicht?
Dazu hat sich zu viel verändert. Wir werden uns immer in Zukunft fragen: Wo können wir digitale Lehre sinnvoll einsetzen, und wo können wir vor allem die Vorteile besonders ausspielen? Davon gibt es viele, alleine schon, was den Zugang zu Materialien betrifft.
Was ändert sich bei den Prüfungen?
Es dürfte schwierig werden, jeden Studenten in seinen eigenen vier Wänden zu kontrollieren. Eigentlich müssten wir das, um den korrekten Prüfungsverlauf zu garantieren. Eine oder mehrere Kameras müssten dann die einzelnen Teilnehmer während der gesamten Prüfung beobachten. Aber: Damit verletzen wir das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung. Deshalb bieten wir den Studierenden an der LMU immer noch die Alternative, eine normale Präsenz-Prüfung abzulegen. Wir versuchen das Problem zu umgehen, indem wir in manchen Feldern eine sogenannte „Open-Book“-Prüfung anbieten. Hier kommt es auf die Transferleistung der Studierenden an, und Hilfsmittel sind wie bei einer Hausarbeit erlaubt. Wir haben den meisten Kollegen geraten, diese Form der Prüfung zu wählen, doch nicht bei allen Fächern ist diese Art von Prüfung möglich.
Im Sommer hieß es noch, das Wintersemester könne weitgehend normal stattfinden. Jetzt musste die Uni wieder zurückrudern – wie kann da noch die Organisation funktionieren?
Ein wunder Punkt. Ich weiß noch ganz genau: Am 29. Juli berichtete Wissenschaftsminister Bernd Sibler, dass zum Wintersemester wieder mehr Präsenzvorlesungen möglich sein sollten. Wir tüftelten also an einem Hybrid-Semester, an einer guten Mischung aus Online- und Präsenzlehre. Doch wegen der aktuellen Pandemie-Entwicklungen ist ein Hybrid-Semester leider nicht möglich. Doch das Konzept für das Hybrid-Semester, an dem wir mit sehr viel Aufwand gearbeitet haben, war nicht umsonst. Denn auf lange Sicht werden Hybrid-Semester keine Notlösung, sondern fester Bestandteil des Studiums sein.
Interview: Kathrin Braun