München/Berlin – Samstagabend, es ist kurz nach 19 Uhr. „Cabin crew, take your position“, sagt Martin Hoell ins Mikrofon. Dann beschleunigt der Pilot des Lufthansa-Flugs LH1954 von München nach Berlin-Tegel auf fast 240 Stundenkilometer. Wenige Augenblicke später hebt der fast voll besetzte Airbus A350 ab. Vor rund einer Stunde hat Joe Biden die Wahl zum US-Präsidenten gewonnen. Darüber redet aber fast keiner im Flugzeug. Das Gesprächsthema ist dieser letzte Lufthansa-Flug zwischen dem Erdinger Moos und Tegel. Denn mit ihm ist „Otto Lilienthal“ Geschichte: Am Sonntag stellte der 1948 eröffnete Flughafen den Betrieb ein.
„Das erste Mal bin vor fast genau 30 Jahren in Tegel gelandet. Das war der 21. November 1990“, erzählt Hoell. 15 Jahre lang flog der 61-Jährige den Hauptstadtflughafen regelmäßig an, zuletzt war er vor allem auf Langstrecken unterwegs. Wie oft er schon in Tegel war, weiß er nicht mehr genau. „Zweistellig mit Sicherheit, dreistellig vielleicht“, sagt er nur. Auch die Lufthansa landete vor ziemlich genau 30 Jahren das erste Mal in Tegel, am 28. Oktober 1990. Bis zur Wiedervereinigung durfte West-Berlin nur von US-amerikanischen, britischen und französischen Fluggesellschaften angeflogen werden.
Hoell hat viele Erinnerungen an Tegel. „Anfang der 90er Jahre konnte man vor allem nachts ein Ost- und ein West-Berlin erkennen“, erzählt er. „Auf der einen Seite waren die Lichter weiß, auf der anderen gelb.“ Für diese Dynamik stehe Tegel für ihn. „Ich bin zwar kein Berliner, aber mir geht es ans Herz. Vor allem die Architektur von Tegel war etwas Besonderes.“
278 Passagiere sitzen im A350, ein Langstreckenflugzeug, das normalerweise nicht auf der Route München-Berlin zum Einsatz kommt. Nur 15 Plätze sind frei. „Wir setzen den A350 heute erstmals bei einem innerdeutschen Linienflug ein. Die Nachfrage war einfach zu groß für eine kleinere Maschine“, sagt Bettina Rittberger, Leiterin Media Relations Süddeutschland bei der Lufthansa.
Viele Fluggäste sitzen nicht im Flieger, weil sie nach Berlin müssen, sondern weil sie sich von Tegel verabschieden möchten. Wie Barbara Brackhaus. Auf ihrem Pulli steht „Bye-bye TXL“. Die 60-jährige Architektin ist oft beruflich mit dem Flugzeug unterwegs. „Mein halbes Leben lang fliege ich schon nach oder aus Tegel“, erzählt die Berlinerin, die vor ein paar Stunden nach München kam, um mit der nächsten und letzten Maschine wieder nach Tegel fliegen zu können. „Ich wollte unbedingt dabei sein“, sagt sie und lacht. Dass Tegel jetzt komplett geschlossen wird, „anstatt als Ausweichflughafen weiterbetrieben zu werden, ist richtig schade“, findet sie. Vermissen werde sie vor allem die kurzen Wege in die Stadt. „Ich wusste immer, wenn ich den Fernsehturm sehe, in zwei Minuten landen wir. Im BER wird das nicht so sein.“
Ein paar Reihen weiter sitzt Frank Riemenschneider. Er ist nur zufällig bei diesem historischen Flug dabei. Er wolle den Baufortschritt in seiner neuen Wohnung in Berlin begutachten, sagt der 55-Jährige. „Tegel ist für mich eine Hassliebe. Die kurzen Wege werden mir natürlich fehlen. Der Flughafen ist ja wirklich in der Stadt.“ Aber: „Seit einigen Jahren war Tegel sehr überfüllt.“ Dass das „architektonisch einzigartige Bauwerk“ nun schließt, findet der Ingenieur „historisch schade, aber die Anwohner wird es freuen“. Ob der BER besser ist als Tegel, wird er beim Rückflug beurteilen können. Denn zurück nach München fliegt er dann schon vom neuem Flughafen.
In Tegel gelandet, lässt sich Hoell Zeit mit der Anfahrt zum Gate. In Begleitung von Feuerwehrfahrzeugen dreht er noch eine kleine Runde am Boden. Schließlich war es seine letzte Landung hier.