München – „Wenn du mich verlässt, dann töte ich dich und die Kinder.“ Eine Drohung, die einige Frauen von ihren Männern hören. Genauso wie Beleidigungen, auch Demütigungen und körperliche Angriffe müssen sie ertragen. Viele Frauen haben eine lange Leidensgeschichte hinter sich, bis sie wegen solchen Notsituationen um Hilfe bitten. Die Corona-Krise hat dieses Problem noch einmal verschärft, wie Sabine Böhm, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft der Frauennotrufe in Bayern erklärt: „Wir erleben die Situation versetzt“, sagt sie. Während des Lockdowns im Frühjahr habe es zwar nicht mehr Hilferufe gegeben – dafür aber im Sommer. „Die Zahl hat sich um 20 Prozent erhöht.“
Sie befürchtet, dass in nächster Zeit die Fälle erneut steigen könnten, wenn viele Menschen wegen Kontaktbeschränkungen, Quarantäne, Kurzarbeit oder Arbeit im Homeoffice wieder vermehrt zu Hause sind. „Die Nerven liegen blank“, sagt sie. Die Folgen: „Es gibt heftigere Bedrohungsszenarien und eine schnellere Eskalation der Gewalt. Das passiert gerade wie im Zeitraffer.“
Böhm ist froh, dass persönliche Beratungen momentan noch möglich sind. Die Absage von Gruppenangeboten sei für viele Frauen jedoch problematisch. Genauso wie die Maskenpflicht. „Für Frauen, denen vielfach der Mund zugehalten wurde oder die geknebelt wurden, ist die Maske oft eine große psychische Belastung.“ Manche würden deshalb von einem Arzt vom Tragen befreit. „Aber die Akzeptanz dafür sinkt in der Bevölkerung“, berichtet Böhm. „Es ist schwierig, wenn die Frauen nicht mal mehr Lebensmittel kaufen können.“
Schon vor der Krise war die Situation an Bayerns Frauenhäusern ernst: „Es gibt nicht genügend Plätze“, beklagt Böhm. Immer wieder komme es vor, dass Frauen sich entscheiden müssten, entweder nicht ins Frauenhaus zu gehen oder ihr Umfeld zu verlassen, um in eine weiter entfernte Einrichtung zu ziehen.
Einen Grund für die starke Auslastung sieht Laura Kaufmann vom Frauenhaus in Dachau auch in der angespannten Situation auf dem Wohnungsmarkt. „Frauen, die eigentlich ausziehen könnten, finden keine Wohnung und bleiben deshalb länger bei uns“, erklärt sie. „Wir werfen sie natürlich nicht ohne Wohnung raus in eine Obdachlosenunterkunft.“ 166 telefonische Anfragen gab es im Jahr 2019 beim Dachauer Frauenhaus, 156 der Frauen konnten nicht aufgenommen werden. „Wir vermitteln die Frauen dann an andere Stellen weiter“, erklärt Kaufmann. Sie ist froh, dass es in Dachau trotz Corona zu keinem Anstieg der häuslichen Gewalt gekommen ist – zumindest wenn man die Zahl der Anfragen zugrunde legt: „Aber wir wissen natürlich nicht, ob alle Frauen die Möglichkeit haben, bei uns anzurufen, wenn der Täter zum Beispiel im Homeoffice arbeitet“, erklärt sie.
Doch nicht nur Frauen, deren Partner gewalttätig sind, brauchen Hilfe. Darauf macht die FDP-Fraktionsvize Julika Sandt aufmerksam. Sie warnt, dass Gewaltopfer häufig durchs Raster fallen würden, wenn zum Beispiel Stalker, Nachbarn oder Zuhälter die Täter sind. Denn dann werden sie oft nicht in Frauenhäusern aufgenommen. „Es gibt das ein oder andere Hilfsangebot, aber keine flächendeckende Lösung“, erklärt sie. „Das ist eine Regelungslücke.“ Sandt fordert klare Vorgaben von der Staatsregierung: „Da der Freistaat die meisten Frauenhäuser mitfinanziert, sollte er auch klar festlegen, dass diese allen von Gewalt bedrohten Frauen zur Verfügung stehen“, findet sie. Laut der Staatsregierung seien jedoch die Einrichtungen dafür zuständig, zu entscheiden, wer dort Unterschlupf finden kann. Die Aufnahme sei abhängig vom Konzept und den Finanzierungsvereinbarungen des Trägers, der persönlichen Situation der betroffenen Person und der spezifischen Situation im Frauenhaus.
Auch Sabine Böhm hat die Erfahrung gemacht, dass es „blinde Flecken“ in der Versorgung gibt. „Frauen mit schweren psychischen Erkrankungen, Suchtproblemen oder Söhnen über 14 Jahren können oft nicht in Frauenhäusern aufgenommen werden“, erklärt sie. Hier könnten spezielle Angebote oder Appartements für die Betroffenen hilfreich sein. „Es hängt alles von der Finanzierung ab“, sagt sie. „Aber es gäbe sicher viele gute Konzepte.“