Würzburg – Darf man einen kranken Menschen von seinem Leid erlösen und ihn töten? Nein, urteilte das Landgericht Würzburg gestern am Ende eines sehr emotionalen Prozesses. Zwei Jahre Haft, ausgesetzt zur Bewährung, so lautet die noch nicht rechtskräftige Entscheidung der Kammer. Der Mann hat seine Frau erstickt – doch der Fall ist keine typische Kriminalgeschichte. Vielmehr wirft er ein Schlaglicht auf die Pflegesituation in Deutschland und die missliche Lage der pflegenden Angehörigen, die sich bis zur Erschöpfung für ihre Lieben aufopfern.
Der vor dem Schwurgericht angeklagte Mann ist 92. Jahrelange umsorgte er fast allein seine kranke Frau. Sie waren knapp 70 Jahre verheiratet, haben keine Kinder. Die 91-Jährige war dement und litt unter starken Schmerzen. „Ich konnte es nicht mehr ertragen, meine Frau leiden zu sehen“, sagt er. Heute bereue er, dass er sie erstickt hatte.
„Der Angeklagte hat sich über Wochen, Jahre liebevoll gekümmert um seine Frau“, sagt Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach. „Dem kann man Respekt zollen. Er hat sehr, sehr viel geleistet.“ Der Jurist ist sichtlich bemüht, die richtigen Worte zu finden und vor allem einen angemessenen Strafantrag für einen Mann zu stellen, den viele Zeugen als zupackend, fürsorglich und aufopfernd beschreiben. „Wir haben einen ungewöhnlichen Fall vor der Kammer“, sagt Seebach. Doch auch die besondere Situation des Paares – sie krank, er ausgelaugt, beide wollen eigentlich gemeinsam sterben – gebe dem 92-Jährigen nicht das Recht, jemanden zu töten. Auch Verteidiger Norman Jacob sieht das so. „Es ist tatsächlich schwierig“, sagt er. Hier stelle sich die Frage nach Sinn und Zweck einer Strafe besonders. „Jede Freiheitsstrafe würde für meinen Mandanten lebenslänglich bedeuten.“ Der 92-Jährigen war zum Zeitpunkt seiner Tat schwer depressiv und vermindert schuldfähig, erklärt Psychiaterin Susanne Eberlein. „Er hat Tag und Nacht für sie da sein müssen.“ Ihre Inkontinenz habe ihm massiv zugesetzt. Weil der Mann keine lebenswerte Zukunft mehr für seine Frau und sich erwartet habe, habe er sie getötet. Ein anschließender Suizidversuch misslang.
Oberstaatsanwalt Seebach hält dem Angeklagten vor, dass seine schwindende Lebenskraft auch selbstverschuldet gewesen sei, weil er keine Hilfe annehmen wollte. „So darf das eben nicht enden“, auch wenn der Rentner „aus Fürsorge und Liebe und aus guten Motiven heraus gehandelt“ habe. Seebach plädierte auf zwei Jahre und neun Monate Haft wegen Totschlags in einem minderschweren Fall. Verteidiger Jacob sah Totschlag ebenfalls gegeben, wollte eine Freiheitsstrafe aber ausgesetzt zur Bewährung sehen.
Die Kammer fand einen Mittelweg. „Rechtlich war das Verhalten des Angeklagten als Totschlag zu werten“, sagt der Vorsitzende Richter Hans Brückner. Doch „zulasten konnte die Kammer im Hinblick auf das Verhalten des Angeklagten keine Gesichtspunkte erkennen“. Das Urteil sollte aber nicht als Freibrief für Nachahmungstäter verstanden werden. „Es ist sicher ein außergewöhnlicher Fall.“