„Wir können die Patienten nicht mal anlächeln“

von Redaktion

INTERVIEW Krankenpfleger Lars Cramer aus Weilheim hat sich für seine Arbeit freiwillig isoliert

Lars Cramer arbeitet seit 21 Jahren in der Pflege. Aktuell in der Unfallchirurgie im Weilheimer Krankenhaus. In der Nachbar-Klinik in Schongau gab es vor Kurzem den ersten großen Corona-Ausbruch in einem Krankenhaus. Seitdem ist die Angst aller Pflegekräfte noch größer, dass sie das Virus zu den Patienten tragen könnten, berichtet der 38-Jährige. Viele isolieren sich deshalb freiwillig – und leiden unter dem großen Druck.

Im Frühjahr gab es viel Applaus für die Pflegekräfte. Wie groß ist die Wertschätzung für Ihre Arbeit heute?

Wertschätzung gibt es noch und das macht mir Mut. Viele Menschen sehen, dass wir Pflegekräfte an der Front stehen und für alle kämpfen – nicht erst seit Corona. Aber wir erleben heute viel mehr Distanz als im Frühjahr. Viele Menschen haben Angst, weil wir sehr viel Kontakt zu den Kranken haben – einige bleiben deswegen lieber auf Abstand. Das spüren wir natürlich. Ich habe vor dem Lockdown zum Beispiel deutlich weniger Einladungen von Freunden bekommen.

Sie haben im Krankenhaus schon lange vor der Pandemie mit Infektionskrankheiten zu tun gehabt. Wie sehr hat Corona Ihren Alltag verändert?

Wir tragen die Masken jetzt natürlich durchgehend. Seit es wieder höhere Fallzahlen gibt, nutzen wir die FFP2-Masken. Die Kollegen auf der Infektionsschutzabteilung müssen außerdem den ganzen Tag Schutzkleidung tragen. Und aus Infektionsschutzgründen müssen wir nun auch die Arbeitspausen isoliert verbringen. Außerdem werden wir alle regelmäßig getestet.

Was ist größer – die körperliche oder die psychische Belastung?

Die psychische. Wir haben in unserem Krankenhaus sehr viele demente Patienten. Sie kommen kaum damit klar, dass sie nur noch Menschen in Schutzkleidung sehen. Das geht aber auch den anderen Patienten sehr nah. Wir können ihnen ja nicht einmal mehr ein Lächeln schenken.

Mit welchem Gefühl gehen Sie in die Arbeit?

Ich habe vor dem Virus keine Angst – auch nicht davor, mich anzustecken. Sonst könnte ich meinen Beruf auch nicht machen. Aber die Verantwortung, die wir tragen, lastet natürlich schwer auf uns allen. Es wäre eine Katastrophe, wenn jemand von uns das Virus zu den Patienten trägt. Um das zu verhindern, müssen alle Mitarbeiter im Krankenhaus nun freiwillig noch mehr Einschränkungen auf sich nehmen.

Welche?

Ich meide gerade jeden persönlichen Kontakt, so gut es geht. Ich bin geschieden, für mich bedeutet das, dass ich meine beiden Kinder zurzeit nicht sehen kann. Leider laufen ja nun mal sehr viele Infektionen über die Schulen. Das ist für mich natürlich schwer.

Fühlen sich viele Plfegekräfte gerade sehr isoliert?

Ja, das ist sicher so. Viele Menschen können sich nicht vorstellen, wie isoliert man als Pflegekraft derzeit lebt, um die Patienten nicht in Gefahr zu bringen. Viele von uns haben große Angst, unter Leute zu gehen und das Virus ins Krankenhaus zu tragen. Der Druck, den wir uns selbst machen, ist unheimlich groß.

Wie groß ist Ihre Angst vor dem Winter?

Meine Befürchtung ist, dass die Zahlen bald wieder sinken. Dann wird alles gelockert und das Gefühl der Sicherheit kehrt zurück – wie im Sommer. Und im Frühjahr geht alles wieder von vorne los. Die Situation jetzt haben wir im Kollegenkreis und in der Ärzteschaft schon vor Monaten kommen sehen. Zumindest hatten wir dadurch die Zeit, uns besser vorzubereiten.

Fürchten Sie, dass Ihnen die Kraft ausgeht?

Dem einen oder anderen könnte es irgendwann zu viel werden, das glaube ich schon.

Kann die Pandemie auch eine Chance sein, den Pflegeberuf langfristig zu verbessern?

Ja. Wenn die Politik es schafft, Verbesserungen umzusetzen. Das sehe ich im Moment aber nicht. Damit meine ich nicht nur das Gehalt, sondern auch die Arbeitsbedingungen. Wir sind im Weilheimer Krankenhaus personell sehr gut aufgestellt – in vielen Altenheimen sieht das aber ganz anders aus.

Interview: Katrin Woitsch

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