München – Frühestens im Frühjahr 2021 wird im Erzbistum München und Freising veröffentlicht, was die Kanzlei Westphal Spilker Wastl über die Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt in der Kirche zu Tage fördert. Pressesprecher Christoph Kappes erklärte gestern auf Anfrage, dass der Auftrag der Untersuchung nach wie vor sei, die Verantwortlichkeiten und die entsprechenden Personen zu benennen und auch zu veröffentlichen. „Wir gehen davon aus, dass das rechtssicher ist und methodisch einwandfrei.“ Noch ist die Kanzlei mit der Auswertung der Akten aus den Jahren 1945 bis 2019 befasst. Gespräche mit Verantwortlichen gab es offenbar noch nicht.
Mit großer Aufmerksamkeit wird man im Erzbischöflichen Ordinariat aber beobachten, welche Folgen die Gutachten im Erzbistum Köln und im Bistum Aachen auslösen. Während der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki wie berichtet die Veröffentlichung des Gutachtens gestoppt hatte – wegen angeblich fehlender Rechtssicherheit und methodischer Mängel – und eine neue Untersuchung in Auftrag gegeben hat, ließ der Aachener Bischof Helmut Dieser den Bericht jüngst ohne Einschränkung veröffentlichen. Darin wird seinen Vorgängern vorgeworfen, Täter geschützt und Opfer missachtet zu haben. In der Folge hat der amtierende Bischof seinen Vorgänger, Altbischof Heinrich Mussinghoff (von 1999 bis 2011 stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz), und dessen Generalvikar öffentlich zu „Zeichen der Reue“ aufgefordert. Sie sollten sich auch an der Entschädigung der Opfer beteiligen, eine Art „Bußgeld“ zahlen. Dieses Vorgehen ist in einem deutschen Bistum bislang einzigartig.
Während der Altbischof darauf verweist, dass eine Veröffentlichung aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht rechtens sei, erklärte Bischof Dieser: „Wir dürfen uns in der Kirche den Priestern nicht enger verbunden fühlen als den Opfern.“ Vor der Presse stellte er klar, dass die Kirche die Priester nicht „als einen höheren, privilegierten Stand in der Kirche ansehen“ dürfe. Helmut Dieser, im Bistum Aachen nicht unumstritten, gibt sich als schonungsloser Aufklärer. Er rief in der örtlichen Presse in einer ganzseitigen Anzeige Missbrauchsopfer dazu auf, sexualisierte Gewalt durch Kleriker ans Licht zu bringen. Das stößt bei den Priestern auf Widerstand: Sie wollen sich nicht in „Sippenhaft“ nehmen lassen. Auch von „Hexenjagd“ ist die Rede. Altbischof Mussinghoff will keinen „Krieg im Bistum“. Begriffe, die zeigen, wie heftig die Debatten sind, die auch auf die Münchner Erzdiözese zukommen können.
Die Lage im Erzbistum Köln wird kirchenintern als „Super-GAU“ bezeichnet. Vor allem, nachdem bekannt wurde, dass sich Mitglieder des Betroffenenbeirats von Kardinal Woelki instrumentalisiert fühlen. Er hatte erklärt, auch die Betroffenen würden das Gutachten ablehnen. Beide Sprecher des Rates legten später ihre Ämter nieder; sie waren überrumpelt worden. Es hagelte Rücktrittsforderungen an Woelki. In München geht man davon aus, dass im Frühjahr die Fakten auf den Tisch kommen. Ganz nach dem Auftrag, der im Februar 2020 erteilt wurde. Ohne Ansehen der Person, sagt man. Auch wenn sie Kardinal Wetter heißen oder Joseph Ratzinger? CLAUDIA MÖLLERS