Hohenbrunn – Gegen 21.30 Uhr fährt ein Familienvater aus Gütersloh mit seinem Audi Kombi auf der A 99 Richtung Salzburg, auf dem Beifahrersitz ein 43-jähriger Bekannter aus dem Sauerland. Das Auto ist auf der rechten Spur unterwegs. Wie aus dem Nichts tauchen vor ihnen auf Höhe der Anschlussstelle Hohenbrunn plötzlich die Scheinwerfer eines in Rumänien angemeldeten VW Touran auf – am Steuer ein 32-jähriger Rumäne, auf dem Beifahrersitz ein 50-jähriger Landsmann.
Wieso das Auto entgegen der Fahrtrichtung unterwegs ist, lässt sich auch einen Tag nach dem Geschehen nicht klären: Ob und wo der Geisterfahrer falsch auf die Autobahn eingefahren ist oder er eine Ausfahrt verpasst hatte und umkehren wollte, ist Gegenstand der Ermittlungen. Fest steht: Beide Autofahrer hatten keine Chance, den Aufprall bei hohem Tempo zu verhindern: Die Autos rasen frontal ineinander und werden regelrecht zusammengeschoben, Trümmer fliegen weg, ein Motorblock wird herausgerissen und bleibt 100 Meter von der Unfallstelle liegen. Alle vier Insassen sterben noch am Unfallort.
Auf der Fahrt zum Feuerwehrhaus hatte Arne Seifert, Kommandant und Kreisbrandmeister aus Haar (Kreis München), nach der Alarmierung im Radio von der Geisterfahrermeldung gehört. „Da war mir klar, das könnte im Zusammenhang mit dem Einsatz stehen.“ Zuvor war aus dem Audi des Güterslohers nach dem Aufprall ein automatisierter Notruf an die Leitstelle herausgegangen. Dieses System ist in neueren Fahrzeugen verbaut. Dabei kann die Leitstelle mit dem Insassen eine Sprachverbindung aufnehmen. Doch in diesem Fall reagierte niemand mehr.
Viktoria Nowak und Bianca Großberg sitzen in einem der ersten Autos, die an den Unfallort kommen. Ihr Auto rollt noch über Trümmer und hat einen Platten. „Wir haben auch sofort gedacht: Oh Gott, das ist bestimmt auch nicht gut ausgegangen“, erzählt Nowak. Instinktiv steigt sie aus, um Hilfe zu leisten. „Als wir hingehen wollten, waren dort schon genug Leute, die helfen wollten.“ Bianca Großberg ist klar, dass sie und ihre Freundin unglaubliches Glück hatten: „Ich glaube, wir müssen unseren Schutzengeln danken, dass wir ein paar Minuten zu spät waren und es nicht uns passiert ist.“
Sowohl Augenzeugen als auch das Rettungspersonal wurden vor Ort in einem Bus psychologisch bereut. Michael Graf, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord, erklärt: „Es ist emotional höchst belastend, wenn man so ein schreckliches Ereignis bearbeiten und verarbeiten muss.“ Die vier Leichen werden nun obduziert. Dabei wird untersucht, ob der Unfallverursacher unter Alkohol oder Drogen stand. Bisher gibt es keine Anzeichen dafür.
Der Hohenbrunner Unfall war ein besonders dramatischer, aber beileibe nicht der einzige Geisterfahrerunfall. Statistisch gesehen steigt das Risiko auf den Autobahnen. 2019 wurden in Bayern 335 Falschfahrer gemeldet, im Jahr zuvor waren es 285. In 14 Fällen kam es zu Unfällen, wobei 19 Personen verletzt, vier getötet wurden. Gut 20 Prozent der Falschfahrer wurden von der Polizei gestellt. 51 waren Männer, 21 Frauen. Nur drei Geisterfahrer waren unter 25 Jahre alt. Senioren über 70 waren 32 Mal auf die Gegenfahrbahn geraten.