Die Meisterin einer fast vergessenen Kunst

von Redaktion

VON KILIAN PFEIFFER

Berchtesgaden – Mit gekonntem Pinselstrich gleitet Monika Baumgartner über die handgemachte Spanschachtel. Sie beherrscht diese alte Technik perfekt. Kein Wunder, schließlich ist die 65-Jährige eine der letzten hauptberuflichen Schachtelmalerinnen. Zumindest war sie das bis vor Kurzem. Baumgartner ist in den Ruhestand gegangen – aber nicht, ohne ihr Wissen weiterzugeben. „Ich habe zwei Schülerinnen“, sagt sie. Das macht ihr Hoffnung, dass es auch weiterhin Spanschachtelmaler geben wird.

Baumgartners Kunstwerke haben fast überall auf der Welt ein Zuhause gefunden. Darüber hat sie sogar Buch geführt. Deshalb weiß sie, dass sie mit ihrem Pinsel in den vergangenen Jahrzehnten zehntausende Holzkisten verziert hat.

Die kleine Werkstatt, in der Monika Baumgartner arbeitet, war früher das Arbeitszimmer ihrer Mutter. Sie war Schneiderin. In der Ecke steht noch die alte Nähmaschine. Aber es sind etliche Tiegel und Döschen voller Farben und Pinsel dazugekommen. In einer Schublade lagert Baumgartner die Holzstempel, die ihr ihr verstorbener Lebensgefährte Erich angefertigt hatte. „Das Malen und das Stempeln ergänzen sich“, sagt Baumgartner. Und in den Holzregalen stapeln sich ihre Kunstwerke: bemalte Hutschachteln, Christbaumschmuck, Röcklschachteln, Räuchermandl, Milchzahnschachteln. All das ist Monika Baumgartners Lebenswerk.

„Mittlerweile habe ich Schwierigkeiten mit den Augen“, sagt sie, während sie ein kleines Notizbuch aus einer Kiste nimmt. Bevor sie sich vor rund 20 Jahren selbstständig machte, arbeitete sie für die Berchtesgadener Handwerkskunst – und notierte jedes Objekt, das in ihrer Werkstatt bemalt wurde. Wie viele es waren, ist kaum zu glauben: 78 370. „Ja, das ist viel“, sagt Baumgartner. Sie erinnert sich an Tage, an denen sie neun Stunden am Stück malte.

Ihre Schachteln haben schon etlichen deutschen Politikern, dem Staatspräsidenten der Mongolei und Papst Johannes Paul II. eine Freude bereitet. Stolz präsentiert sie Fotos. In Berchtesgaden werden Spanschachteln auch häufig zu Hochzeiten verschenkt. In der Schachtel schwingt dann die Erinnerung an fröhliche Jahre mit den Kramperl-Kumpanen mit, erklärt Baumgartner.

Sie hat mit dem Malen 1980 begonnen. 25 Jahre alt war sie damals. Vorher war sie Reitlehrerin. Doch das Malen faszinierte sie so sehr, dass sie sich darauf konzentrierte. „Ich kaufte mir damals einige Schachteln und versuchte anhand eines Kataloges die für die Handwerkskunst typischen Muster nachzuzeichnen“, erzählt sie. Die Schachteln kaufte sie von einem heimischen Drechsler. „Auf die Qualität kommt es an“, sagt Baumgartner.

Die alten Techniken, die sie heute beherrscht, sind oft in Vergessenheit geraten oder wurden ersetzt. Baumgartner malt mit Leimfarben und Farbpigmenten. Sie will nicht, dass ihr Handwerk verschwindet. Deshalb ist sie sehr glücklich, dass sie zwei junge Frauen gefunden hat, die genauso für diese Kunst schwärmen wie sie selbst. Ihnen vermittelt sie ihre Techniken – in der Hoffnung, dass sie irgendwann auch davon leben können. An Aufträgen würde es nicht mangeln, davon ist Baumgartner überzeugt: Vereine fragen regelmäßig an, um einer Schachtel ihren Ehrenmitgliedern eine Freude zu machen. „Ich musste nie Werbung machen“, sagt sie.

Auch im Ruhestand wird sie mit dem Malen nicht ganz aufhören. Könnte sie gar nicht. Bunte Spanschachteln sind nun mal ihr Leben.

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