Die Wanderprofis aus Oberhaching

von Redaktion

VON MARTIN BECKER

Die Idee lautete, so ist es überliefert, „den Menschen im Tiefland Wege zu weisen zu den Höhen der sommerlichen und winterlichen Berge“. Dieser Satz stammt von Rudolf Rother – 1920 formulierte er damit das Gründungsmotto für den nach ihm benannten Bergverlag, der heuer 100 Jahre alt wird.

Ein Jahrhundert später hat sich mancherlei geändert, bis heute geblieben sind im Verlagslogo die Bergspitze und der rote Kreis. Und der Leitgedanke von Rudolf Rother: „Unser Team widmet sich mit Leidenschaft allen Facetten des Bergsports und des Draußenseins“, sagt Verlagsleiter Klaus Wolfsperger, 59. „Der Fokus liegt seit jeher auf der Qualität unserer Bücher und der digitalen Inhalte – wir wollen Wanderern, Bergsteigern und Skitourengehern ein verlässlicher Partner für unterwegs sein.“

Dass er sich der Familientradition so intensiv verbunden fühlt, hat einen Grund. Vor 31 Jahren wurde Wolfsperger noch persönlich von Rudolf Rother junior eingestellt. Dieser bekam den Bergverlag 1964 von seinem Vater übertragen, der wiederum 1967 – mit inzwischen 80 Jahren – das Bundesverdienstkreuz erhielt. In ihrem Sinne setzt Klaus Wolfsperger das Lebenswerk der beiden passionierten Alpinisten fort.

Was sie alle eint: die Liebe zu den Bergen. Deretwegen kam Rudolf Rother senior, gebürtiger Leipziger, einst nach München. Dort übernahm er am 16. November 1920 den Bergverlag, den ein Jahr zuvor eine Gruppe von Bergsteigern in Form einer Genossenschaft gegründet hatte.

Als Pionier und Trendsetter beschritt Rudolf Rother senior vor 100 Jahren ganz neue Wege im Verlagswesen. Früh setzte er auf ein breit gefächertes Programm und machte sich so europaweit einen Namen; neben Büchern erschienen auch die wichtigsten Alpinzeitschriften im Bergverlag Rother, sogar eine eigene Filmabteilung kam hinzu. Übrigens, seine ersten Vertreterreisen ins Ausland unternahm der Verlagsgründer mit dem Fahrrad.

Für die größte Furore sorgte Rudolf Rother senior aber ab dem Winter 1925/26 mit den Skikursen des Bergverlags. Mit diesen Kursen traf er genau den Puls der Zeit, das touristische Skifahren erlebte einen ersten Boom, Anfang der 1930er-Jahre stieg die Nachfrage auf über 350 Skikurse pro Jahr an. Unter Federführung von Ehefrau Vroni entstand eine komplette Reise- und Skikurs-Abteilung mitsamt drei Hotels (im Allgäu, in Tirol und im Salzburger Land) und eigener Tankstelle. Schon damals spielte „Après Ski“ eine wichtige Rolle: Von Zeitzeugen heißt es, die Skikurse (es gab sie bis 1956) seien eine Art „Heiratsmarkt“ gewesen.

Ähnlich beliebt: die Alpenvereinsführer – 1951 erschien der erste Band, übers Karwendel. Diese Bücher mit akribisch recherchierten Details zu Touren bildeten über Jahrzehnte hinweg die wichtigste Informationsquelle für viele Bergsteiger, einige hüten die Ausgaben bis heute wie einen Schatz.

Im Verlagsgebäude in Oberhaching im Kreis München, wo der Bergverlag Rother seit 2009 ansässig ist, lehnt Klaus Wolfsperger bei unserem Besuch stolz vor der berühmten „roten Wand“. Die handlichen Wanderführer mit der unverwechselbaren Optik sind seit dreieinhalb Jahrzehnten das Markenzeichen, im gleichen rucksacktauglichen Format erscheint seit 1995 auch die „blaue Serie“ für Skitouren.

„Unsere Bestseller“, sagt Klaus Wolfsperger, „sind die Wanderführer für Madeira, Mallorca und Teneriffa.“ Dies zeige zugleich die Schwerpunktverlagerung: weg von den klassischen Alpenvereinsführern (die immer noch gefragt sind), hin zu kompetenten Tourentipps in aller Welt. Rund 400 Titel umfasst die „rote Reihe“, der Verlagsleiter schwärmt: „Dieses Angebot gibt es sonst nirgendwo, wir haben fast keine Lücken.“ Und falls doch, dann werden sie gestopft. Für 2021 stehen unter den „30 bis 40 Novitäten pro Jahr“ beispielsweise Wanderführer für die Hallertau oder Leipzig auf dem Programm: „Wir gehen ganz stark in die Regionen.“

Ein Konzept, das funktioniert – gerade auch im Corona-Jahr 2020. Wegen diverser Reisewarnungen sank heuer zwar die Nachfrage bei eher exotischen Zielen, dafür waren innerdeutsche Touren mehr denn je gefragt. Ein Trend: das Weitwandern, also tagelang eine Region durchqueren. „Raus in und zurück zur Natur, vor etwa 15 Jahren bekam das Wandern einen großen Schub. Das Publikum hat sich enorm verjüngt. Diesen Boom haben wir maßgeblich beflügelt“, glaubt Klaus Wolfsperger.

Bei der Auswahl der Autoren komme es darauf an, „dass diese absolute Gebietskenner“ sind. Dieses Qualitätsmerkmal mache im Internet-Zeitalter den wesentlichen Unterschied zu digitalen Gratis-Angeboten: „Bloß ein GPS-Track oder eben die präzise Beschreibung einer Tour? Bei uns weiß jeder, was ihn erwartet.“

Was keinesfalls heißt, dass der Bergverlag Rother heutzutage nicht auch digitale Plattformen bespielt. GPS-Tracks können beim Buchkauf per Code heruntergeladen werden, und die Hälfte der Wanderführer ist auch per App nutzbar. Aktuell befinden sich rund 10 000 Touren in der Datenbank. Ein gigantischer Schatz, den der Verlag allerdings nicht verschenkt: Digital wird nur ein Bruchteil der Inhalte gratis angeboten. Die „intelligente Verzahnung von analogen und digitalen Angeboten“ sieht Klaus Wolfsperger als größte Herausforderung, um den Bergverlag Rother auch nach einhundert Jahren als alpines Kompetenzmedium zu etablieren.

Sein Kurs scheint der richtige: „Mit unserem Konzept haben wir den Umsatz in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt.“ Die Familie Rother wäre vermutlich stolz auf ihren Nachfolger, der jede Publikation dahingehend überprüfen lässt, ob sie dem Leitgedanken des Verlagsgründers entspricht. Und der heißt: Berge und Qualität zuerst.

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