Der Vogel mit dem Image-Problem

von Redaktion

VON NINA PRAUN

Augsburg – Der Unglücksrabe, Rabeneltern, ein rabenschwarzer Tag – die Begriffe, die wir mit den Krähenvögeln in Verbindung bringen, sind durchweg negativ. „Diese Vögel umrankt ein gewisser Mythos“, erklärt Margarete Siering. Die 32-Jährige arbeitet bei der Regierung von Schwaben im Bereich Arten- und Naturschutz in Augsburg und hegt für Raben und Krähen eine gewisse Leidenschaft. Wenn sie von der Familie der Krähenvögel erzählt, zu der etwa der Kolkrabe, die Rabenkrähe, die Saatkrähe, aber auch Eichelhäher, Dohle und Elster gehören, kommt sie schnell ins Schwärmen.

„Der Kolkrabe und auch die Rabenkrähe sind wie Schachspieler“, erklärt sie etwa. „Sie können ihr Gegenüber genau einschätzen und kalkulieren.“ Dafür beobachten sie ihr Gegenüber, und das kann etwas unheimlich wirken; etwa, wenn der rabenschwarze Vogel mit schief gelegtem Kopf im Garten sitzt und dessen Besitzer beobachtet.

Doch das ist nur eine Überlebensstrategie. „In der Natur geht es immer ums Fressen und Gefressenwerden“, sagt Siering. Auch Krähenvögel müssen Habichte und Uhus fürchten, und wer weiß, vielleicht auch den Gartenbesitzer? Die Krähenvögel wollen nur ihr Leben schützen – und das ihrer Jungen. Denn im Gegensatz zu ihrem Ruf sind diese Vögel keineswegs Rabeneltern. Die Elternpaare ziehen die Jungen gemeinsam auf. „Sie sind sehr aufopferungsvoll und fürsorglich, und sie verteidigen ihre Jungen“, erklärt die Expertin. Zum Beispiel, wenn sich ein Mensch dem Nest nähert: Dann fliegt ein Elternvogel in Richtung des Eindringlings. „Das ist aber kein Angriff, nur eine Warnung“, erklärt Siering. „Mit nur einer schnellen Handbewegung schüchtert man den Vogel schon ein.“

Alfred Hitchcock hat solche Warnflüge frech uminterpretiert, in dem Filmklassiker „Die Vögel“. Die Szenen daraus sind bekannt: Horden an Raben und Möwen greifen geeint die Menschen an. „Dieser Film hat weltweit Furore gemacht“, erzählt Siering. „Dabei gibt es so etwas nicht, gab es noch nie. Das entspricht einfach nicht der Realität und dem natürlichen Verhalten von Wildvögeln.“

Einst hatten die Menschen noch ein ganz anderes Bild von den Tieren: „Ursprünglich waren sie Göttervögel“, erzählt Siering, „Symbole für Weisheit und Intelligenz.“ Zwei Raben, Hugin und Munin, waren Begleiter des nordischen Göttervaters Odin; in der griechischen Mythologie dienten die Krähenvögel den Orakeln. Erst im Mittelalter hat sich unser Bild von ihnen gewandelt. Als sich auf Kriegsschauplätzen und neben den Galgen die Leichen häuften. „Die Kolkraben haben am Aas gepickt“, erklärt Siering. Dahin war der gute Ruf. Denn ja, beim Fressen sind diese Vögel nicht sonderlich wählerisch. „Sie sind Kleptoparasiten“, erklärt die Expertin, was so viel heißt wie: Sie fressen alles, was sich leicht klauen lässt. Das ist gleichzeitig ihr größter Vorteil für die Natur: „Sie fressen auch Kadaver, etwa Verkehrsopfer oder Fallwild nach Lawinenabgängen“, sagt Siering. Wer sich also nach kurzer Zeit wundert, dass der tote Igel von der Straße verschwunden ist, kann sich bei den Krähen bedanken: „Sie sorgen für Hygiene in unserer Landschaft.“ Ihre Hauptnahrung sind zwar wirbellose Tiere wie Schnecken und Würmer, doch sie stibitzen genauso gerne das Futter aus dem Vogelhäuschen, die alten Pommes, die sie am Flaucher finden, oder die frisch gelieferten Nüsse an der Münchner Großmarkthalle. „Rabenkrähen picken sich dort Säcke gezielt auf und holen sich die Nüsse raus“, berichtet Siering. Dabei zeigt sich ihre geradezu legendäre Intelligenz, vor der die Menschen mittlerweile großen Respekt haben. So gibt es Geschichten von Vögeln, die Autos als Nussknacker nutzen. Stimmt das? „Ja“, sagt die Expertin. „Sie warten an der Ampel, schmeißen die Nuss bei Rot auf den Asphalt, damit das Auto langsam darüber fährt und die Nuss knackt.“ Eine beeindruckende Leistung. Trotzdem: Diese Tiere sind keine abgehobenen Genies, erklärt Siering. „Sie sind intelligenter als viele andere Vögel, doch auch Krähenvögel handeln eher nach Instinkt.“ Wobei der ja nie schaden kann.

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