Ein Jahrgang von Nichtschwimmern

von Redaktion

VON BEATRICE OSSBERGER

München – Es war ein Hotelgast, der die Frau, die leblos im Chiemsee trieb, entdeckte und die Retter alarmierte. Diese brachten die 83-Jährige an Land, Notärzten gelang es noch, die Seniorin zu reanimieren und in ein Krankenhaus zu bringen. Doch die Hilfe kam zu spät. Die Frau starb.

Der Badeunfall, der sich Ende August am Yachthafen in Prien am Chiemsee (Landkreis Rosenheim) ereignete, war einer der letzten in der diesjährigen Saison. Insgesamt 68 Badetote gab es bis Anfang September in Bayern, das sind zwölf Opfer weniger als im Vorjahreszeitraum. „Jeder tödliche Badeunfall ist einer zu viel“, sagt Michael Förster von der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) in Bayern. „Und doch hatten wir Schlimmeres befürchtet.“

Als sich abzeichnete, dass viele Menschen aufgrund der Corona-Pandemie in diesem Jahr nicht verreisen, sondern ihren Urlaub daheim verbringen würden, versetzte das die Wasserretter in große Sorge. Da die Schwimmbäder nur begrenzt Gäste zulassen durften, rechneten Wasserwacht und DLRG mit einem Ansturm auf die vielen Seen und Flüsse in Bayern und damit auch mit mehr Notfällen. Diese Befürchtung hat sich nicht bewahrheitet.

„Der Corona-Effekt hat sich nicht gezeigt und das lag am Wetter“, sagt Förster. „Es war zu regnerisch und zu wechselhaft, gerade im Mai und im Juni.“ Als es dann heiß wurde, das zeigt die Statistik, schnellte auch die Zahl der Unfälle nach oben. Im August ertranken in Deutschland 117 Menschen – so viele, wie seit vielen Jahren nicht. Auch die Zahl der DLRF-Rettungseinsätze in Bayern war in den Monaten Juli und August besonders hoch. „Punktuell lagen wir bei 50 Prozent mehr Einsätzen“, sagt Förster.

Nach dem Ende der Badesaison ist das Thema Corona für Förster jedoch nicht vorbei. Langfristig könnte sich der Corona-Effekt sehr wohl noch sehr deutlich zeigen, befürchtet er. Sorge bereitet ihm die erneute Schließung der Schwimmbäder. „Im Frühjahr sind die Schwimmkurse komplett ausgefallen, im Sommer konnten sie nur teilweise stattfinden und jetzt stehen wir wieder bei Null“, sagt Förster. „Wenn wir hier nicht aufpassen, wächst da ein Jahrgang von Nichtschwimmern heran.“ Ein Jahrgang, das sind in Bayern rund 120 000 Kinder.

Schon jetzt, sagt Förster, sei es um die Schwimmfähigkeit der Kinder und Jugendlichen nicht gut bestellt. Nach einer Studie der DLRG können 59 Prozent der Kinder zwischen sechs und zehn Jahren nicht sicher schwimmen. Als sichere Schwimmer gelten nur die Kinder, die das Jugendschwimmabzeichen in Bronze, früher „Freischwimmer“ genannt, absolviert haben. „Das ,Seepferdchen‘ reicht bei Weitem nicht aus“, sagt Förster.

Seit Jahren geht die Schwimmfähigkeit der Kinder in Bayern zurück. Gründe sind laut Förster unter anderem die zunehmenden Schwimmbad-Schließungen und der fehlende oder unzureichend praktizierte Schwimmunterricht in den Schulen. „Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung, hier gegenzusteuern“, sagt Förster. Sprich, keine Schwimmbad-Schließungen mehr, mehr für den Schwimmunterricht qualifizierte Lehrer und vor allem verbindlicher Schwimmunterricht. „Er steht zwar im Lehrplan, ist aber ein Kann- und kein Muss-Fach.“

Sobald die Schwimmbäder wieder öffnen dürfen, müssten sie mehr Fläche für Schwimmkurse bereit stellen“, fordert Förster. Das sei notwendig, um dann die voraussichtlich immer noch geltenden Abstandsregeln einzuhalten. „Aber auch die Eltern seien gefragt.“ Die Schwimmlehrer dürften sich den Kindern nicht nähern, die Eltern schon. „Also müssen die Eltern bei den Anfängerkursen mit ins Wasser“, sagt Förster. „Anders geht es nicht, aber wenn wir jetzt nicht handeln, wird es in den nächsten Jahren mehr Notfälle an den Flüssen und Seen geben.“ Und vermutlich auch mehr tödliche Badeunfälle.

Artikel 3 von 11