Morgen jährt sich zum 74. Mal die Verabschiedung der Bayerischen Verfassung. Der Münchner Jurist Florian Besold ist Vorsitzender des Verfassungsvereins „Bayerische Einigung“. Er warnt vor einer Missachtung des Verfassungswerkes in Zeiten der Pandemie-Bekämpfung.
Herr Besold, in der Corona-Pandemie schlägt die Stunde der Exekutive, heißt es oft. Sind die Corona-Maßnahmen mit der Verfassung vereinbar?
So pauschal kann man das nicht bejahen. Es gibt eine ganze Reihe von Problemen.
Welche?
Sehr kritisch sehe ich die generellen Ausgangsbeschränkungen, wie sie jetzt beispielsweise in Passau gelten. Das tangiert die Freiheitsrechte so weit, dass es nicht zu tolerieren ist. Da werden Grenzen überschritten. Hier reichen Maßnahmen, die die Ansammlung von Menschen verhindern. Aber keine generelle Ausgangsbeschränkung! Es kommt immer auf eine ernsthafte Abwägung an. Das ist auch bei der Vielzahl von Berufsverboten der Fall, die zum Beispiel durch Geschäfts- und Gastronomieschließungen provoziert worden sind. Auch das ist ein großes verfassungsrechtliches Problem, da die Freiheit der Berufsausübung verletzt ist.
Ist der Landtag wirklich ausgeschaltet, wie oft behauptet wird?
Angesichts der relativen Funktionslosigkeit der Länderparlamente habe ich ein mulmiges Bauchgefühl. Die Bedenken werden ja von namhaften Verfassungsjuristen geteilt. Ich verstehe, dass in der Pandemie dringende Situationen entstehen, habe also Verständnis für die handelnde Politik, die ja auch einem Stimmungsdruck aus der Bevölkerung ausgesetzt ist. Eine deutliche Mehrheit befürwortet im Moment ja sogar noch einschneidendere Maßnahmen. Das ändert aber nichts daran, dass man in den Parlamenten ernsthaft über die Gestaltung von Infektionsschutz-Verordnungen und ihre Abwägung mit den Verfassungsrechten diskutieren muss – statt diese nur im Nachhinein gutzuheißen.
Würde mehr Landtags-Mitsprache wirklich etwas ändern? Wahrscheinlich würde die Regierungsmehrheit von CSU und FW die Regierungsbeschlüsse doch nur absegnen.
Ich würde die Chance nicht unterschätzen, dass bei vernünftig vorgenommenen Abwägungsprozessen auch neue Ideen entstehen.
Die Parlamentarische Opposition ist grundlegender Bestandteil der Demokratie, heißt es in Artikel 16a. Hätte die sich nicht stärker einbringen müssen?
Man kann das so sehen. In der Tat ist die Opposition in Bayern, was die Bekämpfung der Pandemie betrifft, derzeit oft derselben Meinung wie die Regierung. Leider. Ich würde mir oft deutlichere alternative Vorschläge wünschen, sonst überlässt man nur der AfD das Feld. Aber es darf natürlich keine Opposition nur aus Prinzip sein. Die Opposition wäre übrigens auch im Sommer gefragt gewesen. Damals wäre Gelegenheit gewesen, die Abwägung zwischen Coronona-Maßnahmen und Verfassungsprinzipien gründlich zu erörtern.
Wurde durch die Schulschließung im Frühjahr und den jetzigen Wechselunterricht das Recht auf Bildung verletzt?
So weit würde ich nicht gehen. Durch die alternativen Möglichkeiten, etwa Digitalunterricht, wird Bildung ja nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Wie kann man die Bayerische Verfassung stärker ins Bewusstsein rufen?
Die Verfassung muss sichtbar werden. Die Initiative des Parlaments, Orte der Demokratie zu bestimmen wie etwa den einstigen Sitz des Bayerischen Landtags an der Münchner Prannerstraße, weist in die richtige Richtung. Unser Verein „Bayerische Einigung“ plädiert für den Bau von Verfassungsdenkmälern. Und es wäre wichtig, den Verfassungstag zum gesetzlichen Feiertag zu erklären – übrigens auch den Tag der Verkündung des Grundgesetzes. Vielleicht ist nächstes Jahr, wenn sich die Verabschiedung der Bayerischen Verfassung zum 75. Mal jährt, der richtige Zeitpunkt dafür gekommen.
Das Interview führte Dirk Walter