„Wir stehen vor einem Kollaps“

von Redaktion

VON KATRIN WOITSCH UND HELMUT HOBMAIER

München – Die Intensivstation im Klinikum Freising hat 14 Betten. Seit Wochen ist sie fast voll oder ganz voll, knapp die Hälfte der Betten ist mit Corona-Patienten belegt. Am vergangenen Wochenende war nur noch ein Intensivbett frei, auf den Intensivstationen der Kliniken Ebersberg und Erding keines mehr. Es sei gerade nicht leicht, dann irgendwo anders ein freies Bett für einen neuen Corona-Patienten zu bekommen, sagt der Freisinger Klinikum-Sprecher Sascha Alexander. „Was hier an manchen Tagen abläuft, ist der organisatorische Wahnsinn.“ Im Moment sei die Situation noch zu bewältigen, sagt er. „Aber Ärzte und Pflegekräfte stehen unter einem extremen Druck.“

So ist die Situation gerade nicht nur im Freisinger Klinikum – sondern in fast allen bayerischen Krankenhäusern. In den Landkreisen Starnberg, Fürstenfeldbruck, Dachau und Landsberg waren zu Beginn der Woche 93 Prozent der verfügbaren Intensivbetten belegt – knapp die Hälfte mit Covid-Patienten. Die Kliniken melden deutlich weniger freie Betten als im Frühjahr. Zum einen, weil kleinere Krankenhäuser und Fachkliniken dafür keinen finanziellen Ausgleich mehr bekommen. Aber auch, weil nur noch Betten angegeben werden, die auch von Pflegekräften betreut werden können.

„Die Lage ist angespannt – aber noch beherrschbar“, sagt Eduard Fuchshuber, Sprecher der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Auf jeden Fall sei sie aber deutlich kritischer als bei der ersten Corona-Welle im Frühjahr. „Wir haben mehr Covid-Patienten – und mehr akute Krankheitsverläufe“, erklärt er. Hinzu komme, dass auch viele Ärzte und Pflegekräfte an Corona erkrankt sind und ausfallen. „Wir hatten schon vor der Pandemie einen Fachkräftemangel“, sagt Fuchshuber. Das sei nun besonders auf den Intensivstationen zu spüren.

Noch immer können in Bayern alle Corona-Patienten mit schweren Krankheitsverläufen versorgt werden. Aber sie müssen unter Umständen weitere Anfahrtswege in Kauf nehmen. Die ärztlichen Leiter bekommen die Fälle von den Hausärzten gemeldet, erklärt Fuchshuber. Sie koordinieren dann die Belegung – und müssen auf andere Kliniken zugreifen, wenn in ihrem Gebiet alle Intensivbetten belegt sind. Zum Beispiel auf die Lungenfachklinik in Gauting. Dort liegen aktuell 20 Covid-Patienten, neun auf der Intensivstation, fünf werden beatmet. Patienten, die stabil sind, bekommen ein Krankenhaus genannt, in dem ein Bett für sie frei ist. Infizierte mit schweren Symptomen werden mit dem Rettungswagen in das entsprechende Krankenhaus gebracht.

Wie sich die Situation in den kommenden Wochen verändern wird, traut sich Fuchshuber nicht zu prognostizieren. Aber einen Appell hat er: „Wir müssen die Lockdown-Maßnahmen unbedingt ernst nehmen – zum Wohl von uns allen.“

Andreas Krahl blickt sehr besorgt in die Zukunft. Der Grünen-Abgeordnete und Fachkrankenpfleger geht davon aus, dass sich die Situation weiter zuspitzen wird. Er hatte deshalb schon vor zwei Wochen einen schärferen Lockdown gefordert. „Die Lockerungen über die Weihnachtsfeiertage werden wir auf den Intensivstationen büßen“, sagt er. Schon jetzt seien sie in den Ballungsregionen überbelegt. Infizierte Pflegekräfte müssen auf den Corona-Stationen weiterarbeiten, weil es nicht genug Personal gibt. Krahl sagt: „Im Bereich der Intensivmedizin stehen wir am Rande eines Kollapses.“

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