Weihenstephan – Der meteorologische Winter hat bereits Anfang Dezember begonnen, heute folgt der kalendarische Winteranfang. In München erreicht das Thermometer heute sieben Grad. In Garmisch-Partenkirchen sind sechs bis acht Grad möglich. Winterlich ist anders. „Im Grunde“, sagt Lisa Brunnbauer, Agrarmeteorologin des Deutschen Wetterdiensts in Weihenstephan, „haben wir noch immer Herbstwetter.“
Kälte und Schnee lassen, bis auf ein kurzes Intermezzo Anfang Dezember, weiter auf sich warten. „Es fehlen auch in diesem bayerischen Winter die Wintereinbrüche“, sagt Brunnbauer. Gemeint sind damit mehrere Tage im November und Dezember, in denen vor allem die Alpen- und Mittelgebirgsregionen schon einmal einen Vorgeschmack auf die kalte Jahreszeit bekommen, mit Temperaturen weit unter null Grad und längerem, dichten Schneefall. „Die Klimaerwärmung lässt sich auch daran ablesen, dass diese Wintereinbrüche vor Weihnachten immer weniger und auch immer weniger heftig werden“, sagt die Meteorologin.
Ausnahmen bestätigen die Regel. Auch Ereignisse wie das Schneechaos vor zwei Wochen in Teilen Österreichs und in Südtirol ändern nichts an der Tendenz, die sich im vergangenen Jahrzehnt weiter verfestigt hat: Unter den Jahreszeiten ist der Winter der Verlierer des Klimawandels. Während das Frühjahr immer früher beginnt, der Sommer bereits im April spürbar ist und der Herbst bis weit in den Dezember hineinreicht, schmilzt die Winterzeit dahin. Fast drei Wochen hat die vierte Jahreszeit in den vergangenen 30 Jahren schon eingebüßt, ergab eine Auswertung des Deutschen Wetterdiensts.
Die Meteorologen können die Verschiebung der Jahreszeiten dank phänologischer Beobachtungen sehr genau bestimmen. Unter Phänologie versteht man die im Laufe des Jahres immer wiederkehrenden Entwicklungserscheinungen in der Natur, etwa, zu welchem Zeitpunkt die Hasel zu blühen beginnt oder wann eine Apfelsorte reif ist. Seit 1951 zeichnen ehrenamtliche Mitarbeiter des Deutschen Wetterdienstes auf, wie sich bestimmte Pflanzen entwickeln. „Der Haselnussblüte gilt dabei ein besonderes Augenmerk, weil sie den phänologischen Vorfrühling einläutet“, sagt Brunnbauer. Im Durchschnitt beginnt die Haselblüte jetzt 23 Tage früher als zu Beginn der Aufzeichnungen. Bei der Holunderblüte, die für den Beginn des Sommers steht, sind es 17 Tage.
Dass sich der Takt der Natur verändert, ist auch für die Landwirte eine große Herausforderung. Wenn die Pflanzen im Frühjahr zu früh blühen, und dann doch noch eine Frostperiode kommt, drohen große Ausfälle. „Oder“, sagt Brunnbauer, „wenn im Herbst die Wintergerste gesät wird, es aber zu warm wird, wächst die Gerste zu stark und droht den Winter nicht zu überleben. Dann müssen die Landwirte mit Wachstumsreglern arbeiten, um ihre Ernte zu schützen.“ Trockenheit und Hitzestress machen die Pflanzen zudem anfällig für Krankheiten und Schädlinge.
Die Verschiebung der Jahreszeiten hat mittlerweile auch deutliche Auswirkungen in der Tierwelt. Winterschläfer wie der Igel erwachen früher. Zugvögel kehren eher aus ihren aus ihren Winterquartieren zurück oder starten erst gar nicht. Der Zilpzalp, eigentlich ein Zugvogel, überwintert nun in Bayern. Auch Nestbau und Brut beginnen früher, was wiederum für den Kuckuck, der weiterhin erst im April aus dem warmen Süden zurückkehrt, zunehmend ein Problem darstellt. Will er sein Ei in ein fremdes Nest legen, sind die Wirtsvögel des Kuckucks mit dem Brüten bereits fertig. Auch deshalb steht der Kuckuck mittlerweile auf der Vorwarnliste der Roten Liste. Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten fünf bis 30 Prozent aller einheimischen Tier- und Pflanzenarten den Wandel nicht überleben werden.
Und wie gefährdet ist der Winter? „Er wird nicht völlig verschwinden“, sagt Meteorologin Brunnbauer. „Aber er wird wärmer und trockener werden, und das bedeutet auch, dass die Bodenfeuchte weiter abnehmen wird und sich auch weniger Grundwasser bilden kann.“ Im November erreichte der Niederschlag in Bayern gerade einmal 30 Prozent der durchschnittlichen Niederschlagsmenge. Ähnlich ist die Situation bisher im Dezember, und besonders dramatisch im Osten Bayerns. Hier fielen in diesem Monat bisher nur zehn Prozent des sonst üblichen Niederschlags.
Zumindest aber was das Weihnachtsfest angeht, gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer. „Es besteht nach jetziger Prognose zumindest noch die Chance, dass wir dieses Jahr weiße Weihnachten feiern können“, sagt Brunnbauer. Und das sei schon mehr als in den vergangenen Jahren. Wobei, betont die Meteorologin, die weiße Weihnacht in Deutschland seit jeher eine Ausnahme sei. „Auch in der Vergangenheit war es an den Weihnachtstagen sehr viel öfter grün als weiß.“