Pandemie verändert die Kirche dauerhaft

von Redaktion

VON CLAUDIA MÖLLERS

Starnberg – Weihnachten 2020 war für den Starnberger Stadtpfarrer Andreas Jall ein „sehr, sehr lehrreiches Weihnachten“ und auch ein trauriges Kirchenfest. Nicht Jubel, Trubel, Heiterkeit, sondern sehr still und sehr nachdenklich, wie er unserer Zeitung gestern berichtete. Es kamen deutlich weniger Menschen in die Gottesdienste, als sich angemeldet hatten. „Viele, die Karten hatten, kamen nicht. Die älteren Menschen hatten Angst.“ Auch die hohen Hürden waren abschreckend: Gottesdienstbesucher mussten ihre Namen und Telefonnummern nennen.

Jall hat Verständnis für die Zurückhaltung der Gläubigen, vor allem der älteren Menschen. Für ihn und die vielen Ehrenamtlichen, die seit dem Sommer an Hygienekonzepten gearbeitet hatten, war es aber auch frustrierend, dass mit der Ausgangssperre kurz vor Weihnachten alle Konzepte über den Haufen geworfen worden sind. Und so musste Jall an diesem Weihnachtsfest sehr viel trösten, gegen Müdigkeit und Frustgefühl ankämpfen.

Aber Weihnachten 2020 war nicht nur traurig und anstrengend. Der Starnberger Stadtpfarrer hat an diesen außergewöhnlichen Feiertagen gesehen, dass die Kirche sich verändern muss, raus muss aus der Komfortzone. Also wurde in Windeseile zusätzlich eine Andacht an Heiligabend im Starnberger Ortsteil Hanfeld organisiert, um Menschen die Möglichkeit zu geben, Weihnachten in Gemeinschaft zu feiern. Am späten Nachmittag, als es langsam dunkel wurde, auf freiem Feld. „Wie damals in der Heiligen Nacht in Bethlehem“, sagte Jall mit einem Lächeln. 50 Menschen versammelten sich dort. Die meisten davon Familien, die der Stadtpfarrer noch nie im Gottesdienst gesehen hatte.

„Das hätte ich Euch gar nicht zugetraut“, sagte einer der Besucher der Andacht später zum Pfarrer. So unkompliziert, so improvisiert, so authentisch. Für Jall war das ein Weihnachtsmoment: Dass Kirche in diesen Zeiten Menschen erreicht, die sonst kaum Kontakt suchen. Dem Pfarrer kam das Weihnachtsfest heuer vor wie ein Blick in die Zukunft. Künftig werde es weniger Mitglieder, weniger Kirchensteuermittel geben. Auch die Bedeutung der Kirchen werde sinken. „Die Pandemie beschleunigt den Säkularisierungsschub in unserer Gesellschaft“, ist sich der Pfarrer sicher. Man werde sich von vielem verabschieden müssen – von Größe, von finanziellem Reichtum. Aber Jall will nicht alles schlechtreden, ist davon überzeugt, dass Neues entsteht. „Es wird anders werden, aber vielleicht auch ein Stück echter.“

Die Menschen, die künftig den Kontakt zur Kirche suchten, denen bedeute es wirklich etwas. Es werde spannend, Kirche in die neue Zeit zu führen. Kein Grund also für den Stadtpfarrer, frustriert zu sein. Gebraucht würden neue Formen der Verkündigung. All diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als er am Heiligabend nach Beginn der Ausgangssperre allein im Pfarrhof war. Wohin wird die Reise gehen? „Ich glaub daran, dass der Herrgott sein Schiffchen Kirche nicht verlässt“, sagte Jall mit Bestimmtheit. Wobei das keinesfalls eine „Kirche des heiligen Restes“ sein dürfe. „Wir Christen sind nicht zum Verzweifeln da, weil wir eine Hoffnung haben, die von keiner Dunkelheit besiegt werden kann.“ Der Pfarrer freut sich auf die Menschen, die nach dem Lockdown wieder zurückkommen in die Kirche. „Aber ich werde diese Erfahrung von 2020 nicht vergessen und versuchen, unsere Pfarrgemeinde zukunftssicher aufzustellen. Wir müssen uns überlegen, wie verkünden wir unseren Glauben und wo? Wir müssen den Wandel mitgestalten.“

Artikel 2 von 11