Die Miss Marple von Puchheim

von Redaktion

VON LAURA FORSTER

Puchheim – Edeltraud Wildgruber sitzt an ihrem Esstisch und blickt durch das Fenster über die Garagendächer der Reihenhaussiedlung. Ihre Perlenkette glänzt, das goldene Armband funkelt im Licht der Küchenlampe. Die paar Schmuckstücke, die sie am Körper trägt, sind die letzten, die sie besitzt. Den Rest hat ihr Untermieter vor drei Jahren schamlos aus ihrem Schlafzimmer geklaut, zusammen mit ihren Ersparnissen. Doch die 82-Jährige aus Puchheim (Kreis Fürstenfeldbruck) nahm den Diebstahl nicht einfach so hin. Als ein Unbekannter ein paar Monate später noch eine weitere Frau ausraubte, weckte das den Gerechtigkeitssinn von Wildgruber. Ein Fall für die Puchheimer Miss Marple. „Mit ihrer scharfen Beobachtungsgabe half sie uns, den dreisten Täter drei Jahre nach der Tat zu schnappen“, sagt Andreas Ruch von der Germeringer Polizei.

Ein bisschen ähnelt Wildgruber der fiktiven Hobby-Detektivin von Kultautorin Agatha Christie schon – weißes Haar, wache Augen. Die Bücher hat die Puchheimerin jedoch nie gelesen. „Wenn, dann mal einen Film gesehen“, sagt Wildgruber, die mit richtigem Namen anders heißt, der aber nicht genannt werden darf, um künftige polizeiliche Ermittlungen nicht zu gefährden. Für Krimis hat die 82-Jährige generell nichts übrig – weder im TV noch in Schriftform. Aber als sie erfuhr, dass neben ihr im selben Jahr eine andere Puchheimerin ausgeraubt wurde, entfachte das Wildgrubers Ehrgeiz. Sie wollte den Täter finden. „Wenn ich etwas herauskriegen wollte, dann habe ich das auch immer geschafft.“

Ende 2016 lernte Wildgruber einen damals 21-jährigen Verkäufer aus Albanien beim Semmelnholen kennen. „Der hat mehrere Wochen immer wieder bei mir angerufen und mich angefleht, dass er hier wohnen darf“, sagt sie. Schnell habe sich jedoch herausgestellt, dass der Mann unzuverlässig war. Im März 2017 warf die 82-Jährige ihn schließlich hinaus. Erst im August stellte sie fest, dass das Geld und der Schmuck nicht mehr da waren.

Sie rief die Polizei an, die daraufhin Spuren sicherte. Ein paar Wochen später kam dann ein Brief für den ehemaligen Untermieter. Absender: ein Münchner Pfandhaus. Wildgruber hegte da einen Verdacht. „Ich habe den Umschlag genommen und bin sofort zur Wache.“ An einer Schmuckschatulle wurde ein DNA-Fragment gesichert. Der 21-Jährige gestand den Schmuckdiebstahl, den Diebstahl des Geldes stritt er allerdings ab.

Einige Zeit später saß die 82-Jährige am Küchentisch und las Zeitung, als ihr ein Zeugenaufruf ins Auge sprang. „Einer älteren Frau wurde in Puchheim auf offener Straße die Handtasche entrissen“, sagt Wildgruber. Die Tat hatte sich zur selben Zeit ereignet, als Wildgruber herausfand, dass sie bestohlen worden war. Und die Beschreibung des Täters passte auf das Aussehen ihres früheren Untermieters. „Mir war sofort klar, dass er es gewesen sein muss, doch ich wollte niemanden beschuldigen.“

Sie überlegte lange und nahm im Mai 2019 ihren Mut zusammen und schilderte ihren Verdacht der Polizei. Die DNA von beiden Tatorten – die geraubte Handtasche war gefunden worden – wurde ins Bayerische Landeskriminalamt zu einer Vergleichsuntersuchung geschickt. Das Ergebnis stand im Oktober 2020 fest. „Vor etwa zwei Monaten hat mich die Polizei noch einmal angerufen“, sagt Wildgruber. „Volltreffer! Sie haben ihm den Raub zweifelsfrei nachweisen können.“ Der mittlerweile 24-Jährige sitzt bereits wegen anderer Straftaten im Gefängnis, melden die Beamten. Ein Gerichtsverfahren für den Handtaschenraub steht dem Mann noch bevor. Vielleicht packt er dabei auch aus, was wirklich mit Wildgrubers Wertsachen passiert ist.

Denn die Polizei hat den Täter zwar gefasst, das Geld hat die 82-Jährige aber verloren. Genauso wie einen Teil ihres Schmucks. Ihre geliebten Silberketten mit dem Maria-Theresia-Taler oder dem Herz-Jesu-Anhänger vermisst sie beispielsweise immer noch. Aber eins ist klar: Falls in Edeltraud Wildgrubers Nachbarschaft etwas rätselhaft erscheint, würde sie wieder in die Rolle der Ermittlerin springen. Wie Miss Marple.

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