Bayerischer „Jugend“-Stil

von Redaktion

Eine innovative Zeitschrift gab einer Kunstrichtung ihren Namen

Der Name, der im Kopf der neuen innovativen Zeitschrift stand, war im Grunde genommen bereits das komplette Programm: schlicht und einfach „JUGEND“ sollte die Publikation heißen, die der Verleger und Schriftsteller Georg Hirth (1841-1916) zusammen mit dem Publizisten Fritz von Ostini (1861-1927) im Januar 1896 auf den Markt brachte.

Hirth, in Personalunion zugleich prominenter Herausgeber der auflagenstarken, in ganz Süddeutschland verbreiteten „Münchner Neuesten Nachrichten“ (1911 rund 116 000, 1917/18 im Schnitt 170 000 Exemplare), kam seinem Rivalen Albert Langen (1869-1909) zuvor. Und das Experiment glückte: Die „Jugend“ wurde zum Sammelbecken für viele junge Talente, für aufstrebende Schriftsteller und Illustratoren. Arnold Böcklin und Franz von Stuck, Emil Nolde, Ernst Barlach, Julius Klinger oder Lovis Corinth, später auch George Grosz publizierten in der „Jugend“.

Bereits 1904 erreichte sie eine Auflage von 54 000, vier Jahre später von 74 000 Exemplaren. Langens Satire-Blatt „Simplicissimus“, wie die „Jugend“ strotzend vor Selbstbewusstsein, ging ein Vierteljahr später an den Start.

Die Macher dieser Zeitschriften wollten bewusst wider den Stachel löcken und den Obrigkeitsstaat aus der Reserve locken, dem partiell in Apathie und Lethargie gefallenen Publikum anregende literarische Kost bieten und obendrein progressive Strömungen in der Gesellschaft abbilden. Georg Hirth und Fritz von Ostini versuchten, den Staub der Vergangenheit abzuschütteln und etwas völlig Neues auf die Beine zu stellen, den Finger am Puls der Zeit zu haben und zugleich für die Literatur und Kunst von morgen Fenster und Türen weit aufzustoßen.

Die künstlerischen, politischen und sozialen Verkrustungen des Kaiserreichs sollten abgestreift, das Gute behalten, alles Muffige überwunden werden. Man wollte sich an einer lichten Zukunft orientieren. „Ein Programm im spießbürgerlichen Sinne des Wortes haben wir nicht“, resümierte das Editorial im ersten Heft. „Wir wollen Alles besprechen und illustrieren, was interessant ist, was die Geister bewegt; wir wollen Alles bringen, was schön, gut, charakteristisch, flott und – echt künstlerisch ist.“

Kein Gebiet des öffentlichen Lebens solle ausgespart bleiben, aber auch kein Sektor augenfällig in den Fokus gerückt werden. „Hohe, höhere und höchste Kunst, Ornament, Dekoration, Mode, Sport, Politik, Musik und Literatur sollen heute ernst, morgen humoristisch oder satirisch vorgetragen werden, wie es die Situation oder der Stoff gerade erheischen.“

Zu diesem Zweck sollten nach dem Willen der Blattmacher alle grafischen Künste, die ernste Skizze, die Karikatur und die Fotografie, kurzum: der „stilvolle Strich“, auf allen Ebenen „mobil gemacht werden“. Die „Jugend“ hat im „Jugendstil“ einen eminent schöpferischen Widerhall gefunden, sie ist – nicht zuletzt in scharfer Frontstellung zum Esprit des Fin de Siècle – in vielerlei Hinsicht stilbildend für eine ganze Epoche geworden und wurde zu einem der bedeutendsten Organe für die Kunst und die Literatur im Ausklang des „langen“ 19. Jahrhunderts.

Die Zeitschrift trug immer wieder die Handschrift ihrer leitenden Redakteure, angefangen mit Fritz von Ostini bis zu Franz Schoenberner, sowie ihres von Zeitgenossen als „homo universalis“ gefeierten Spiritus Rector Georg Hirth. Nach dem Ersten Weltkrieg hat sie zeitweise den Anschluss an die modernen gesellschaftlichen und künstlerischen Strömungen verloren – und im Sog der NS-Diktatur vor den neuen Machthabern den Kotau gemacht. Dies ist vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Gleichschaltung der Presse eine ganz eigene, komplexe Geschichte. FRANZ-JOSEF RIGO

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