MASSGESCHNEIDERT

VON HERBERT SCHNEIDER Schufterei im Januar

von Redaktion

Was wir im Januar zu tun haben? Der Maßschneider hat sich beim Blättern in einem Bücherl, „Alte Bauernweisheit“ betitelt, kundig gemacht. Aufgepasst: „In diesem Monat beschäftigen sich die Mannsbilder mit Ausnahme derjenigen, welche das Vieh pflegen, mit dem Herbeischaffen des Holzes aus dem Hochwald, wo man nur mit dem Schlitten hinkommt. Die weiblichen Arbeitskräfte bessern und flicken die Wäsche aus, stricken Strümpfe und Socken und spinnen Flachs, Werg und Wolle.“

Läuft Ihnen ein Schauder über den Rücken, liebe Leserrinnen, werte Leser, oder schreien Sie gar empört auf? Bitte beruhigen Sie sich wieder! Diese Leitsätze galten um 1900 herum, und das auch nur für Tiroler Bergbauern. Leider hat es sich der Maßschneider nicht verkneifen können, die altehrwürdigen Anleitungen für den ersten Monat des Jahres auch seinem Weibe vorzutragen, und es dann aufgefordert, sich endlich auf die über die Feiertage geplatzten Nähte ihres Ehemannes, über seine löchrigen Socken und ausgefransten Strümpfe herzumachen oder zumindest das Spinnrad in Gang zu setzen, das zwar dekorativ, aber völlig nutzlos im Wohnzimmereck steht.

Ein Spinner in der Familie reicht, erwiderte sie. Trotzdem: Ich wäre sofort bereit, diese veralteten Fronarbeiten auszuführen, wenn auch du diesen Verpflichtungen nachkommst. Zwar kannst du kein Vieh mehr pflegen, nicht einmal Kleinstvieh, weil selbst Motten, Schaben und dergleichen durch meine intensiven Säuberungsmaßnahmen keine Chance bei uns haben. Aber geh wenigstens hinauf auf den Speicher, hol den alten Schlitten herunter, ziehe ihn in den Wald und sammle Äste, damit wir endlich unseren Kachelofen wieder einmal schüren können. Und wenn es dann schön kuschelig warm wird, werde ich vielleicht das Spinnrad anwerfen und zu spinnen anfangen.

Das brauchst du nicht, meinte der Maßschneider, weil du das bereits tust. Soll ich mich etwa zum Gespött der Nachbarn machen, indem ich einen Lastschlitten ziehe? Und außerdem habe ich keinen Holzleseschein!

Die sollen froh sein, wenn du die dürren Äste einsammelst und endlich ihren Wald aufräumst! Wo ein Wille, da ist auch ein Weg!

Sie hatte sich inzwischen am Spinnrad zu schaffen gemacht. Ui jekerl, sagte sie, spinnen kann ich darauf sowieso nicht mehr. Die Spindel ist ja spindeldürr! O mei, fuhr er fort, wie weit haben wir uns von den Gewohnheiten unserer Ahnen entfernt! 120 Jahre unentwegter technischer Fortschritt haben uns der naturnahen Arbeitswelt der Vorfahren total entfremdet.

Und darum bestellst jetzt im Internet umgehend sechs Paar Socken, drei Unterhemden, zwei Seidenhemden und für dich ein nettes Schürzerl. Und die Äste, die sammeln wir am Sonntag ein, wenn wir mit dem Auto zum Forst fahren, um einen Waldspaziergang zu machen. Ich werd mich doch nicht wie ein Ochs vor einen Schlitten spannen, wenn ich einen geräumigen Kofferraum hab.

An dieser Stelle schreibt unser Turmschreiber

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