München – Caroline B. (Name geändert) war schwanger mit ihrem Sohn, als sie erfuhr, dass sie Gebärmutterhalskrebs hat. Sie ließ sich während der Schwangerschaft operieren, begann nach der Geburt im April 2015 eine Strahlentherapie. Doch dann brach sie sie ab – angeblich auf Anraten ihrer Heilpraktikerin. Stattdessen wurde sie mit Schlangengift behandelt. Wenige Monate später war sie tot, mit nur 27 Jahren. Ein kleiner Bub blieb zurück.
Seither klagt der Vater des hinterbliebenen Sohnes, der jetzt fünf Jahre alt ist, in dessen Namen gegen die Heilpraktikerin aus dem Landkreis Passau. Der 35 Jahre alte Landshuter Maik Spiering verlangt Schmerzensgeld und Schadenersatz für den Verlust der Mutter in Höhe von rund 170 000 Euro. Vor dem Landgericht Passau scheiterte er. Er zog in die nächste Instanz vor dem Oberlandesgericht (OLG) München. Dort hat sich der Fall nun gedreht. Das OLG geht durchaus von einem groben Behandlungsfehler aus.
Am OLG wurde bereits im Mai vorigen Jahres zum ersten Mal verhandelt. Dort appellierte der Vorsitzende Richter Thomas Steiner an die Streitparteien, sich auf einen Vergleich zu einigen. Der Fall sei „nicht entscheidungsreif“. Doch die Parteien konnten nicht zueinander finden. Deshalb ging das Verfahren weiter. Die zentrale Frage: Was hätte die Heilpraktikerin raten müssen?
Ein Sachverständiger kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass das Verhalten der Heilpraktikerin „nicht zu verantworten“ war. Sie hätte Caroline B. auf alle Fälle zuraten müssen, die Strahlentherapie durchzuführen, nicht abzubrechen beziehungsweise wieder aufzunehmen. „Es wäre gerade die Sache der Heilpraktikerin gewesen, zu sagen: Was ich mache, ändert nichts am Verlauf der Krankheit“, sagte der Vorsitzende. Die Frauenärzte hatten Caroline B. klargemacht, dass der Abbruch der Strahlentherapie ihr Todesurteil sei. Mit dieser Therapie dagegen sei ihre Überlebenschance zum Todeszeitpunkt bei 98,5 Prozent gelegen.
Trotz groben Behandlungsfehlers geht das Gericht aber auch von einem Mitverschulden von Caroline B. in Höhe von einem Drittel aus. Sie habe sich von den Ärzten ab- und der Heilpraktikerin zugewandt. Sie sei „in hohem Maße selbstgefährdend unterwegs“ gewesen, sagte der Vorsitzende.
Der Vater des kleinen Halbwaisen verfolgt mit seiner Klage auch ein prinzipielles Ziel: „Ich will, dass diese Frau niemanden mehr behandeln darf.“ Er wolle „Frauen davor warnen, dass sie sich auf eine Heilpraktikerin einlassen“, wenn sie an Krebs erkrankt sind. Sein Anwalt ist sich sicher, dass die Mutter des Buben der Heilpraktikerin nicht vertraut hätte, wenn man ihr gesagt hätte, dass das Schlangengift nichts bei Krebs bringe. Die Gegenseite sieht die Sache anders. Es sei der freie Wille der Patientin gewesen, die Strahlentherapie abzubrechen. B. sei eine „wissende Patientin“ gewesen. Sie sei vollkommen aufgeklärt gewesen und habe „nur noch die Schlangengift-Therapie“ gewollt. Die Heilpraktikerin habe sie sogar gefragt, ob sie sich nicht vorstellen könne, die Strahlentherapie wieder aufzunehmen: „Fühl mal in dich rein“, habe sie geschrieben.
Vor einem Urteil bemühte sich der Vorsitzende erneut um einen Vergleich. Er schlug eine Summe von 45 000 Euro vor. Darüber wollen die Parteien nun noch einmal nachdenken. Wenn sie sich nicht einigen, verkündet das Gericht im März seine Entscheidung. NINA GUT