Straßlach – Charlotte von Padberg ist nicht nur Ärztin und Mutter von drei sechs, acht und zehn Jahre alten Kindern – sondern auch im Elternbeirat. „Ich habe mich viel mit anderen Eltern ausgetauscht“, sagt sie. Alle berichteten ihr dasselbe: wie sehr die Kinder darunter leiden, dass die Schulen schon so lange geschlossen sind. Hauptschullehrer sagten ihr, dass viele Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund schon lange nicht mehr bei dem Online-Unterricht mitmachen. „Ich bin fest davon ausgegangen, dass es wieder Unterricht in Schulen gibt, wenn die Faschingsferien abgesagt werden, damit Stoff nachgeholt werden kann“, sagt die 43-Jährige aus Straßlach (Kreis München). Dass es nächste Woche keinen Präsenzunterricht gibt, kann Padberg nicht verstehen. „In bildungsfernen Familien wird kein Unterricht erfolgen. Wieder bleibt die eine Gruppe auf der Strecke.“
Deshalb hat sie sich vor ein paar Tagen an den Computer gesetzt und einen Brief geschrieben. An Ministerpräsident Markus Söder. „Zu Beginn des letzten Jahres, als es noch keine evidenzbasierten Daten zu Corona gab, schlugen Sie einen strikten Kurs ein. Unter den damaligen Bedingungen konnte ich diesen Weg sehr gut nachvollziehen“, schreibt sie. „Sie standen hinter Ihrer Politik und vermittelten so, auch mir, ein Gefühl von Stabilität und Besonnenheit.“ Allerdings habe Söder seine Strategie seitdem nicht verändert, kritisiert Padberg in ihrem Brief. „Ich hatte gehofft, in Ihnen eine Führungspersönlichkeit zu finden, welche die Kraft hat, in dieser Situation nicht nach Beliebtheitswerten zu entscheiden. Das einzige Ziel sollte sein, unser Land nicht nur gesundheitspolitisch, sondern auch ökonomisch durch die Krise zu bringen und gegebenenfalls auch in Teilbereichen voranzubringen.“ Ihr sei bewusst, dass es schwer ist, für alle Bereiche des öffentlichen Lebens den richtigen Weg zu finden. Sie plädiert aber dafür, mit den relevantesten zu beginnen. Und das seien die Kinder. Die Schwächsten in der Gesellschaft seien nicht die Senioren – sondern die Kinder, betont sie. „Ältere Menschen haben immerhin eine Vergangenheit. Diese Politik zerstört allerdings die Zukunft vieler Kinder.“ Denn gerade für sozial schwache Familien seien die Schul- und Kita-Schließungen eine Katastrophe. „Die fehlende Bildung vergrößert die ohnehin schon schlechten Startbedingungen dieser Kinder“, fürchtet Padberg. „Die soziale Kluft in unserer Gesellschaft wird nochmals verstärkt.“
Padberg kann nicht nachvollziehen, dass der Staat nach so vielen Monaten Pandemie noch keine Strategie entwickelt hat, um Schule wieder für alle möglich zu machen. Zum Beispiel durch Schnelltests. Manchmal fragt sie sich, was passieren würde, wenn Corona eine Krankheit wäre, die nur die Kinder beträfe, sagt sie. „Würde man wirklich alle Menschen beschränken, damit die Jugend einigermaßen normal weiterleben kann? Das wage ich zu bezweifeln.“ Eine ganze Generation zahle nun einen hohen Preis, betont sie. Und verliere eine Perspektive.
Den Brief will sie heute abschicken. Doch schon jetzt gab es mehr Reaktionen, als sie gehofft hatte. „Ich hatte ihn nur an ein paar Bekannte geschickt – und die wiederum an ein paar Bekannte.“ Seitdem bekommt die dreifache Mutter viele Rückmeldungen. Bisher durchweg positive. „Offensichtlich teilen viele Menschen diese Ansicht“, sagt sie. Das bestärkt sie darin, ihren Appell nun mit vielen Unterschriften an Söder zu schicken. „Ich rechne nicht mit einer Reaktion von ihm“, sagt sie. „Aber ich möchte ihm spiegeln, wie die Stimmung gerade ist.“