Das Bangen an der Grenze

von Redaktion

München – Die Fahrt ins Büro am Montag hat Julia Tamburin vorsichtshalber gestrichen. Die 44-Jährige lebt in Rosenheim, arbeitet aber in Niederndorf in Tirol, kurz hinter der Grenze. Bislang lief der Weg zur Arbeit für die Berufspendlerin relativ problemlos ab. „Ich hatte eine Pendlerbescheinigung im Auto, damit wurde ich an der Grenze durchgewunken.“ Seit Kurzem braucht sie außerdem eine Online-Registrierung und einen negativen Corona-Test, um nach Österreich einreisen zu können. Doch in den nächsten Tagen wird sie ihre Arbeit beim Küchentechnikhersteller Bora soweit es geht vom Homeoffice aus erledigen. „Nicht, dass ich nicht mehr zurückkomme.“ Denn wie es ab dem Wochenende mit dem Grenzübertritt aussieht, darüber herrscht noch große Unsicherheit.

Für Tschechien, die Slowakei und Tirol werden wegen der Ausbreitung von Corona-Mutanten harte Beschränkungen für die Einreise nach Deutschland eingeführt. Die Bundesregierung verständigte sich darauf, diese Gebiete als „Virusvarianten-Gebiete“ einzustufen. Auch stationäre Grenzkontrollen sollen wieder eingeführt werden. Die Beschränkungen treten in der Nacht zum Sonntag in Kraft.

Für die betroffenen Gebiete gilt ein grundsätzliches Beförderungsverbot für Fluggesellschaften, Bahn-, Bus- und Schifffahrtsunternehmen. Die Deutsche Bahn stellt den Fernverkehr nach Tschechien und Tirol ein. Auch die Bayerische Regiobahn fährt auf der Strecke von München nach Kufstein nur noch bis Kiefersfelden. Außerdem müssen Einreisewillige sich vorab auf das Coronavirus testen lassen, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte. Für grenzüberschreitende Pendler, vor allem im medizinischen Bereich und auch im Wirtschaftsbereich, würden nun „praxisnahe Lösungen“ erarbeitet, sagte Söder am Freitag im Landtag. Auf Ausnahmen für Pendler drängte auch die EU-Kommission. In Bayern arbeiten rund 22 000 Tschechen sowie ein Großteil der rund 11 000 in Deutschland beschäftigten Österreicher. Gesundheitsminister Klaus Holetschek kündigte eine „Pendelquarantäne“ zwischen Wohnort und Arbeitsplatz an. Wie die Regeln für Grenzpendler im Detail aussehen, war am Freitag aber noch nicht abschließend geklärt. Und so bangen die Bewohner der Grenzgemeinden, wie es für sie weitergeht.

So auch Georg Wittwer, der in Eschenlohe im Kreis Garmisch-Partenkirchen eine Lkw-Spedition führt. Bis zu 70 Mal am Tag passieren seine Fahrer aktuell die deutsch-österreichische Grenze, um über den Brenner nach Italien und zurück zu fahren. „Bisher war der Güterverkehr von den Beschränkungen ausgenommen“, sagt Wittwer. Seine Fahrer brauchten keinen negativen Corona-Test. Wenn das aber nun wie bei Fahrten aus Großbritannien nach Europa auch für Tirol eingeführt werden sollte – „dann gibt es Chaos“, da ist er sich sicher. Bereits im ersten Lockdown sei in Tirol einmal der Versuch gestartet worden, bei allen Brummifahrern Fieber zu messen. „Der Stau ging bis Brixen“, sagt Wittwer.

Auch der Kiefersfelder Bürgermeister Hajo Gruber macht sich Sorgen. „Ich hoffe, dass wenigstens die Arbeiter noch mit Schnelltests problemlos über die Grenze kommen“, sagt er. „Allein bei uns im Ort gibt es drei Pflegeheime, in denen viele Tiroler arbeiten.“ Er habe größtes Interesse, dass die südafrikanische Mutation nicht nach Bayern schwappt. „Aber der notwendige Austausch muss gewährleistet bleiben.“

Das hofft auch Andrea Zandron. Die 57-Jährige lebt in Wörgl in Tirol und betreibt direkt an der Grenze im alten Zollhaus in Kiefersfelden einen Friseursalon. Ab 1. März darf sie wieder öffnen. Doch obwohl allerorten die Haare wuchern, fürchtet sie, dass ihre Kunden wegbleiben. Denn ein Großteil ihrer Kunden kommt aus Österreich. Aber ob die künftig für ihren Haarschnitt über die Grenze kommen dürfen, das weiß Zandron nicht. Ihren Optimismus will sich die Tirolerin aber trotzdem nicht nehmen lassen. „Auch wenn es jetzt schwierig ist. Es wird aufwärts gehen.“

VON DOMINIK GÖTTLER

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