Ethik-Professor hat „Grenze überschritten“

von Redaktion

VON CLAUDIA MÖLLERS

München – Am 26. Februar, wenn der Bayerische Ethikrat zu seiner zweiten Sitzung zusammenkommt, wird in der Videokonferenz eine Person weniger zugeschaltet sein: der Münchner Wirtschaftsethiker Christoph Lütge ist, wie berichtet, vom Kabinett einstimmig aus dem 18-köpfigen Beratungsgremium abberufen worden.

Der 51-jährige Professor für Wirtschaftsethik an der Technischen Universität München hatte mehrfach die Maßnahmen von Bund und Bayern zur Corona-Bekämpfung massiv kritisiert – und dabei Überzeugungen geäußert, die laut Staatsregierung nicht mit der verantwortungsvollen Arbeit des Ethikrates vereinbar seien. Wie zu hören ist, hatten sich auch Mitglieder des Ethikrats immer wieder über Lütge geärgert und bei der Staatsregierung beschwert.

Vor allem dessen mehrfach verbreitete Äußerung, dass das Durchschnittsalter der Toten durch die Corona-Pandemie bei 84 Jahren liege und da sterbe man ohnehin, sorgte für Empörung. Damit war für andere Ethikrat-Mitglieder eine sittliche Grenze überschritten, die sie nicht hinnehmen wollten. In der Verfassung gebe es ein Grundrecht auf Leben – unabhängig von Konditionen.

Trotzdem zeigte sich Lütge am Freitag über den Rauswurf überrascht. „Ich habe den Ethikrat immer verstanden als ein Gremium, das Politik von unabhängiger Seite beraten soll“, sagte er. Das sollte unterschiedliche Auffassungen zulassen – gerade bei wichtigen gesellschaftlichen Fragen. Es dürfe kein Hinterzimmer-Gremium sein, das monatelang berate und dann der Staatsregierung ein „Paper“ zukommen lasse. Er habe aber nicht damit gerechnet, dass er von der Staatsregierung abberufen werde.

Die Vorsitzende des Ethikrates, die frühere Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, betont indes, dass Lütge mehrfach gegen die Geschäftsordnung verstoßen habe: „Er hat seine eigene, persönliche Meinung zu politischen Maßnahmen und virologischen Fragen mit dem Zusatz bei Twitter versehen: Das sage ich als Mitglied des Bayerischen Ethikrats.“ Es sei aber vereinbart gewesen, dass sich nur die Vorsitzende äußere – und zwar dann, wenn etwas entschieden sei. Doch bislang habe der Ethikrat noch gar nicht inhaltlich arbeiten können. Lütges Aussagen „waren dazu angetan, den Eindruck zu erwecken, dass der Ethikrat in seiner Gesamtheit dieser Meinung ist“. Das sei aber nicht der Fall gewesen. „So etwas nimmt einem Gremium die Würde seiner Aussagen.“ Wenn das jedes Mitglied täte, dann „hätten wir eine sehr merkwürdige Vielstimmigkeit, statt überhaupt erst einmal ins Arbeiten zu kommen und etwas zu beschließen, was wir miteinander vertreten“.

Selbstverständlich könne sich dann jeder dazu äußern. Auch Minderheitenvoten seien vorgesehen, der Ethikrat sei sogar verpflichtet, sie in der Öffentlichkeit vorzutragen. Der mehrfachen Bitte, sich nach der Geschäftsordnung zu verhalten, sei Lütge nicht nachgekommen. Daher habe sie der Abberufung nicht widersprochen.

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