„Fastenzeit soll kein zusätzlicher Stress sein“

von Redaktion

VON CLAUDIA MÖLLERS

München – Seit einem Jahr ist wegen der Pandemie kollektiver Verzicht gefordert: Auf Treffen mit Freunden und Verwandten, auf Theater- und Kinobesuche, aufs Essengehen, aufs Sporteln im Fitness-Center. Und jetzt auch noch 40 Tage Fastenzeit für die Christen zur Vorbereitung auf das Osterfest?

Sybille Loew, Diplom-Theologin und Psychotherapeutin, hat Verständnis für die Seelenlage vieler Menschen, die unfreiwillig einem Verzicht ausgesetzt sind. Die vielen Einschränkungen würden von manchen als Zumutung, sogar als eine Art Kränkung erlebt, wenn man in diesen geforderten Maßnahmen kein Sinn entdeckt. „Wenn ich freiwillig auf etwas verzichte, ist das Besondere: ich entscheide mich dafür, habe ein Ziel“, sagt Loew. Das könne die Gesundheit betreffen, indem man in der Fastenzeit aufs Rauchen oder auf Alkohol verzichtet – in der Hoffnung, dass man seinem Körper etwas Gutes tut. „Wenn ich die Fastenzeit religiös interpretiere, dann will ich vielleicht meine Verbindung zu Gott erneuern und mein spirituelles Leben vertiefen.“ Beides sei mit einem Sinn versehen.

In Corona-Zeiten hält Sybille Loew ein „digitales Fasten“, das in den vergangenen Jahren Trend war, nur bedingt für tauglich. „Das ist jetzt natürlich fraglich, weil wir alle merken, wie viel derzeit digital umgestellt ist. Viele von uns machen Zoom-Meetings mit Eltern und Freunden. Man freut sich, dass man wenigstens auf diese Weise sicher mit anderen in Kontakt treten kann.“ Die wenigen digitalen Kontakte auch noch wegzulassen, sei sicher nicht zu empfehlen. Aber man könne bei Computerspielen oder beim Internetsurfen runterfahren. „Wer aber meint, dass er sich einen Verzicht auferlegen muss, dann kann man es gleich vergessen.“ Es müsse ein Bedürfnis sein, diese Fastenzeit zum Anlass zu nehmen, sich Gedanken um sein Leben zu machen. „Zu schauen, wo tue ich etwas, von dem ich eigentlich weiß, dass es mir nicht guttut“ – und dann darauf zu verzichten, rät die Therapeutin.

Wer sich in den kommenden 40 Tagen frage, was ihm wichtig ist, habe viele Möglichkeiten, sich einzusetzen: für Gerechtigkeit, für die Umwelt, für hilfsbedürftige Nachbarn. So könnten die Wochen bis Ostern eine Zeit sein, „wo man sich für etwas anderes öffnet“. Schon in der Zeit des ersten Lockdowns hätten viele Menschen zum Beispiel erfahren, dass Nachbarschaftshilfe auflebt. Die Krise habe die Sinne geschärft für das, was wirklich wesentlich ist. So regt Loew an, sich auch in den kommenden Wochen Zeit zu nehmen, Kontakte zu pflegen oder kulturelle Angebote im Netz wahrzunehmen und den Künstlern dafür eine Spende zukommen zu lassen.

„Die Fastenzeit sollte kein zusätzlicher Stress sein, den man obendrauf packt“, sagt die Therapeutin. Man könne sie als Chance zur Besinnung begreifen. Wer durch Corona bereits am Ende seiner Kräfte sei, könne die Fastenzeit dafür nutzen, einmal am Tag nur dazusitzen, eine Kerze anzuzünden und bei ruhiger Musik durchzuschnaufen. „Fastenzeit muss ja nicht mit irgendetwas Schwierigem kombiniert werden.“ Schön wäre es, eine Erfahrung mit Gewinn zu machen – körperlich, geistig oder religiös. Da könne man auch die Erfahrungen aus der Corona-Krise einfließen lassen.

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