Markt Schwaben – Sie nimmt kein Blatt vor den Mund – ob gegenüber einem Regierungspräsidenten, einer Ministerin, dem Bürgermeister oder ihrem Chef, dem Pfarrer: Bettina Theresa Ismair aus Markt Schwaben (Kreis Ebersberg) hat sich fast 20 Jahre lang durchgekämpft in ihrem Engagement für geflüchtete Menschen und Migranten. Ihre ungeschminkten Erfahrungen hat Ismair nun in einem 456-seitigen Buch verarbeitet. „Grenzerfahrungen“ lautet der Titel, ergänzt um den Zusatz „Ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit mit Verstand und Augenmaß“.
Die 58-jährige Mutter zweier Söhne hatte 2001 mit einigen anderen Müttern die Initiative „Offenes Haus – Offenes Herz“ gegründet. Dabei haben sie Kinder von Geflüchteten regelmäßig bei sich zu Hause betreut, ihnen Deutsch beigebracht und ihre Familien bei allen Problemen unterstützt. Ihre Kinder spielten mit den ausländischen Klassenkameraden und erledigten gemeinsam ihre Hausaufgaben.
Bettina Ismair half den Flüchtlingsfamilien bei Behördengängen, bei der Suche nach einer Wohnung oder einem Ausbildungsplatz für die Kinder. Ihr Antrieb: Eltern und Kinder sollten sich möglichst schnell in ihr neues Umfeld einleben. Dafür entwickelte Ismair einen unglaublichen Einsatz neben ihrem Job in der katholischen Kirchengemeinde und der Versorgung der Familie. Einfach aus der Überzeugung heraus: Da brauchten Menschen in ihrer Umgebung Hilfe. „Nicht wegducken, im richtigen Moment anpacken“ ist ihre Devise.
Bis in kleinste Details berichtet sie von den Kontakten zu den Familien, ohne die Schattenseiten auszusparen. Sie schreibt über beleidigte Eltern, weil man ihnen einen gebrauchten Kinderwagen für ihren Sohn „zugemutet“ habe. Aber sie schont auch den Pfarrer nicht, der ihr bei der Bewerbung für einen Preis nicht helfen will, weil die meisten der betreuten Familien ja nicht einmal Christen seien. Sie tritt auch dem Regierungspräsidenten auf die Füße, der sich vor der Überreichung des Integrationspreises gedrückt habe, weil Einsatz für Asylbewerber politisch nicht gewollt gewesen sei. Ismair nimmt all das nicht stillschweigend hin, sie wehrt sich lautstark, eckt an und scheut den Streit nicht. Blickt aber auch mit Freude darauf, wenn sich Familien aus Afghanistan oder Syrien schließlich ein neues Leben aufgebaut haben.
Flüchtlingsarbeit mit allen Höhen und Tiefen wird hier geschildert. Mit Frust und Empörung. Aber auch mit großer Freude und Stolz, wenn der Einsatz mit dem Deutschen Bürgerpreis oder mit dem Ellen-Ammann-Preis des Katholischen Deutschen Frauenbunds geehrt wird. Anrührend sind die Schilderungen über wachsende, tiefe Freundschaft mit Migrantenfamilien.
Ismair nimmt aber auch den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel kritisch in den Blick. Aus der Kenntnis der Situation vor Ort mit den Schwierigkeiten bei der Integration ab 2015 hält sie einen unbegrenzten Zuzug für falsch. „Blindwütigen Verfechtern von Zuzug“, die jeden Menschen „sofort in die rechte Ecke“ stellten, „der nur leise Bedenken artikulierte, auf mögliche Probleme hinwies oder seine Ängste und Sorgen äußerte“, stellt sie ihre Erfahrungen entgegen. Ismair will einen differenzierten Blick, „den Ausländer“ gibt es für sie nicht. Aber Politik und staatliche Organe haben ihrer Meinung nach auch zu oft „den Dingen ihren Lauf gelassen“.
„Offenes Haus – Offene Herzen“ gibt es seit 2018 nicht mehr. Unter anderem entzogen Sprachlernklassen in der Grundschule der Initiative den Boden. „Die Integration immer neuer Zuwanderer bleibt eine Lebensaufgabe“, schreibt Bettina Ismair. Für jeden, der sich darauf einlässt, ist das Buch eine lehrreiche Lektüre. CLAUDIA MÖLLERS
Grenzüberschreitungen
Ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit mit Verstand und Augenmaß. Von Bettina Theresa Ismair, tredition Verlag, Hamburg, 456 S., 24,99 Euro.