Die Lebensgeschichten-Erzählerin

von Redaktion

VON KATRIN HILDEBRAND

München – Jede Lebensgeschichte gibt es nur einmal. Nur aus wenigen werden Bestseller oder Filme. Von den meisten Menschen bleiben ein paar Anekdoten, die Familie und Freunde weiter- tragen. Von der Urgroßmutter wird erzählt, die mal einen Wunderheiler engagierte. Oder von Onkel Willi, der seine Frau in die Arbeit schickte und den ganzen Tag nur auf der Bank an der Straße saß und Pfeife rauchte.

Katharina Lukas hält solche Anekdoten fest. Sie ist professionelle Biografie-Schreiberin. Allerdings schreibt sie nicht über Stars oder Weltpolitiker, sondern über ganz gewöhnliche Menschen. Ihre Biografien sind nur für einen kleinen, ausgewählten Leserkreis gedacht: Verwandte, Kinder, Enkel, Freunde. „DasZiel meiner Auftraggeber ist, ihrer Nachwelt etwas Bleibendes und Haptisches von sich zu hinterlassen“, erklärt Lukas. Sie berichten über Erinnerungen, einschneidende Lebensereignisse. Daraus wird dann die Biografie.

Auf die Idee dazu kam Katharina Lukas durch eine persönliche Erfahrung. „Mein Vater war über mehrere Jahre hinweg schwer krank. Ich war berufstätig und bin am Wochenende zu ihm gefahren und saß an seinem Bett.“ Während dieser Zeit begann sie ein Buch zu schreiben. „Darin geht es um die Situation, wie man es erlebt, wenn ein sehr geliebter Mensch dahinsiecht und man dabei zusehen muss.“ Es geht aber auch um Geschichten. Damals nämlich begann ihr Vater zu erzählen. „Er hat mir Erlebnisse aus seiner Kindheit geschildert.“ Dinge, über die sie früher kaum gesprochen hatten. Flucht, Neuanfang, Wiederaufbau der Bundesrepublik. „Diese Erinnerungen haben mich berührt. Das war die Initialzündung. Ich dachte mir: Das Leben rekapitulieren – das müssten mehr Menschen machen.“

Katharina Lukas ist in einem niederbayerischen Dorf aufgewachsen, ging in Landshut aufs Gymnasium und schließlich in München zur Uni. Sie wurde Journalistin, arbeitete eine Zeit lang als Korrespondentin in London. Jobs kamen und gingen – doch die Zeit am Krankenbett ihres Vaters prägte sie. Sie wollte Wissen und Erfahrungen bewahren – deshalb wurde sie Biografin.

Das begann unspektakulär. Mit einer Notiz in der Tageszeitung unter den Kleinanzeigen. „Autorin schreibt Ihre Biografie.“ Darunter eine Telefonnummer. Mehr nicht. „Mittlerweile gibt es Mundpropaganda“, sagt Lukas. Außerdem hat sie eine eigene Internetseite, privatbiographie.de. Die Nachfrage ist da.

Eine Dame, die damals die Anzeige las, griff sofort zum Telefon. Lukas bot ihr ein kostenloses Gespräch an. Heute ist die pensionierte Lehrerin eine der Erzählerinnen, mit denen Katharina Lukas zusammenarbeitet. Erzähler sind die Menschen, die von ihrem Leben berichten. Lukas dagegen sieht sich selbst als eine Art Ghostwriterin. Sie nimmt die Interviews mit und hakt nach – wenn das nötig ist. Aus der Lehrerin sprudelten die Erinnerungen förmlich heraus. Trotzdem muss Lukas mehr tun als zuhören. Sie muss empathisch sein und Geschichten herauskitzeln, aber auch die Gespräche lenken. Zu Hause transkribiert sie die Aufnahmen. Und zwar ganz nah am Original. Auch die finalen Buchtexte sollen den Leser spüren lassen, wer da in Ich-Perspektive erzählt. „Die Tonalität soll ja beibehalten bleiben“, sagt die Biografin. „Der Leser soll sagen: Das klingt ja fast wie der Opa.“

Die Gespräche seien sehr intensiv, betont sie. Wenn sich Menschen erinnern, wird es emotional, manchmal fließen auch Tränen. „Durch diese Nähe lernt man als Zuhörer auch die Sprache des Menschen.“ Bis eine Biografie entsteht, dauert es aber lange, dafür sind viele Gespräche nötig. Lukas recherchiert dafür auch oft in der Bibliothek – Namen, Daten, Ereignisse, von denen ihr berichtet wurde. Stimmt das Jahr? Gibt es über das Ereignis alte Zeitungsberichte? Außerdem muss sie die vielen Anekdoten und Erinnerungen ordnen. Die Texte, die sie schreibt, werden von den Erzählern gegengelesen, ergänzt, manchmal gibt es auch Änderungswünsche und neue Ideen. Das dauert Monate, manchmal auch länger.

Ihre bisher längste Biografie ist 400 Seiten lang. Mit der Lehrerin sind zwei Bücher geplant, ein kleiner Erinnerungsband an Kindheit und Jugend im Oberland – und ein großer Lebensbericht. Gedruckt, gebunden und designt wird alles immer so, wie es die Menschen wünschen. Schließlich wollen sie ihrem exklusiven Leserkreis ein schönes Andenken überreichen. Manche Autoren, erzählt sie, wollen das ganze Heimatdorf mit dem Buch bestücken. Anderen reicht es, die Kinder damit zu versorgen. So wie die einstige Lehrerin. „Mein Sohn und meine Tochter bekommen ein Exemplar meiner Lebenserinnerungen. Das reicht.“ Den kleinen Band über ihre Jugend im Oberland bei Warngau will sie dagegen mehreren Menschen schenken.

Oft sind es ältere Leute, die Katharina Lukas anrufen und mit ihr arbeiten wollen. Aber auch Jüngere haben sich schon gemeldet. Die meisten Erzähler stammten bisher aus Bayern. Aber der Radius wird größer, auch eine Frau aus Nordrhein-Westfalen hat sich bei ihr gemeldet.

Was so eine Privatbiografie kosten kann, will Katharina Lukas nicht öffentlich machen. Weil es sich auch nicht so einfach pauschal sagen lasse, erklärt sie. Der eine will ein kurzes Büchlein, die andere einen richtig dicken Band. „Ich muss den Biografierten immer erst kennenlernen, um zu wissen, was für ihn das Richtige ist.“ Manchmal hört sie auch Dinge, die nicht in einer Biografie stehen sollen. Wobei das freilich keine schlimmen Offenbarungen sind. Katharina Lukas hört Geschichten, die das Leben schreibt. „Die Leute wollen zwar ein gutes Bild von sich abgeben, aber nicht, dass ich ihnen schmeichle. Sie wollen Verständnis.“

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